Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
A. Darstellung des für die Besteuerung von GmbHs relevanten Europarechts und Völkerrechts im Allgemeinen
I. Internationales Steuerrecht
Rz. 1
Die Globalisierung und Europäisierung der wirtschaftlichen Geschäftsaktivitäten einer GmbH haben dazu geführt, dass Geschäftsführer und GmbH-Steuerberater nicht nur mit der Komplexität des deutschen Steuerrechts zurechtkommen müssen, sondern in zunehmendem Maße auch sog. internationales Steuerrecht zu beachten haben. Darunter sind zum einen die nationalen steuerrechtlichen Vorschriften zu verstehen, welche zur Anwendung kommen, wenn grenzüberschreitende Aktivitäten zu steuerrechtlich relevanten Vorgängen führen, so z.B. § 34c EStG oder § 8b KStG, § 50d EStG, die §§ 1 ff. AStG oder § 4i und § 4j EStG, um nur einige wenige zu nennen. Zum anderen sind auch die völkerrechtlichen Doppelbesteuerungsabkommen, bilaterale und multilaterale Verträge und vor allem das EU-Recht mit seinen steuerlich relevanten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und den steuerlichen Richtlinien zu berücksichtigen. Um die Vielzahl der Interdependenzen der einzelnen Steuerrechtsquellen und deren Maßgeblichkeit für das die GmbH betreffende Steuerrecht übersichtlicher zu gestalten, werden nachfolgend zunächst das Europarecht und Völkerrecht gleichsam vor die Klammer gezogen und allgemein dargestellt (siehe Rdn 2 ff.). Der sich daran anschließende Teil (siehe Rdn 151 ff.) befasst sich sodann spezifisch mit den für die GmbH in der Praxis international steuerrechtlich bedeutsamsten Fallgestaltungen.
II. Anwendungsvorrang
Rz. 2
Das Europarecht gewinnt für die deutsche Unternehmensbesteuerung in zunehmendem Maße an Bedeutung. Neben dem sekundären Unionsrecht, zu dem insbesondere die von der EU erlassenen Richtlinien zählen, gerät im Bereich des primären Unionsrechts die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung und Anwendung des Steuerrechts unter Beachtung der EU-Grundfreiheiten mehr und mehr in den Blickpunkt.
Rz. 3
Die Europäischen Verträge in der gegenwärtigen Fassung des Vertrags von Lissabon gewähren den Mitgliedstaaten zwar die Souveränität zu entscheiden, ob und welche direkten Steuern sie erheben, wie sie die Bemessungsgrundlage und den Steuersatz festlegen und das Besteuerungsverfahren ordnen. Gleichzeitig verlangen jedoch Art. 3 bis 6 AEUV und Art. 26 AEUV von den Mitgliedstaaten, dass diese ihren Beitrag leisten zur Errichtung eines Binnenmarktes, der "einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist", umfasst. Beides wird durch das Steuerrecht der einzelnen Mitgliedstaaten oft nicht gewährleistet, so dass der EuGH immer häufiger eine Kollision zwischen nationalen Steuerregelungen und dem Unionsrecht feststellt. Nach Ansicht des EuGH hat bei solchen Gegensätzen das Unionsrecht nahezu uneingeschränkten Vorrang vor dem nationalen Steuerrecht. Verstößt eine steuerrechtliche Vorschrift gegen EU-Recht, muss zuerst geprüft werden, ob diese Norm unionsrechtskonform ausgelegt werden kann. Gelingt dies nicht, führt dies nicht zur Nichtigkeit der Norm. Vielmehr ist diese insoweit nicht mehr anzuwenden (sog. Anwendungsvorrang), als sie zu einem europarechtswidrigen Zustand führen würde. Die übrigen nicht-europarechtswidrigen Bestandteile einer Norm können weiterhin Anwendung finden.
Rz. 4
Über Art. 20 Abs. 3 GG sind europarechtswidrige Steuerrechtsnormen grundsätzlich bereits seitens der Finanzverwaltung von einer Anwendung auszuschließen und durch europarechtskonforme Rechtsfolgen zu ersetzen. Allerdings ist dies aufgrund des Umfangs möglicher EU-widriger Normen eher nicht zu erwarten, so dass Steuerpflichtige selbst darauf achten müssen, potenziell europarechtswidrige Steuerbescheide anzufechten bzw. offen zu halten.
III. Primäres Europarecht
Rz. 5
Das primäre Europarecht setzt sich insbesondere aus den Gründungsverträgen, aus Assoziationsabkommen, die die Union mit anderen Staaten abschließt, und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zusammen. Entscheidenden Einfluss auf die nationalen Steuerrechtsnormen erlangt das europäische Recht dabei durch die Rechtsprechung des EuGH zu den im AEU-Vertrag festgelegten Grundfreiheiten.
Rz. 6
Bei der Prüfung der Vereinbarkeit eines von einer nationalen steuerrechtlichen Norm geregelten Sachverhalts mit den Grundfreiheiten wendet der EuGH im Wesentlichen für alle Grundfreiheiten den gleic...