Rz. 71
Wer teilnahmeberechtigt ist, muss zur Versammlung eingeladen werden; der teilnahmeberechtigte Personenkreis wurde daher schon beim Abschnitt "Adressaten der Ladung" erörtert (→ § 7 Rdn 17). Ergänzend ist der Verwalter zu erwähnen, der nicht der Adressat, sondern der Versender der Ladung ist. Er (und seine Mitarbeiter → § 7 Rdn 59) ist nur teilnahmeberechtigt, solange er die Versammlung leitet (str.). Der faktische Verwalter ist im Rechtssinne keiner und hat deshalb nach h.M. kein Teilnahmerecht. Nach hier vertretener Auffassung ist hingegen jede zum Versammlungsleiter gewählte Person aus dieser Stellung heraus teilnahmeberechtigt.
Rz. 72
Für die Versammlung gilt nach allg. M. der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Nur die teilnahmeberechtigten Personen dürfen teilnehmen. Dadurch sollen die Miteigentümer in die Lage versetzt werden, Angelegenheiten der Gemeinschaft in Ruhe und ohne Einflussnahme Außenstehender zu erörtern. Die Nichtöffentlichkeit ist auch durch die Wahl eines ausreichend abgeschlossenen Versammlungsraums sicherzustellen; ein "öffentlicher" Gaststättenraum eignet sich also bspw. – im Gegensatz zum separaten Nebenraum – nicht. Dieser gesetzlich nicht vorgesehene, sondern von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz eröffnet den Miteigentümern freilich nicht nur das Recht zur ungestörten Beratung, sondern bürdet ihnen auch die entsprechende Pflicht auf, denn Ausnahmen sollen prinzipiell nicht zur Disposition der Eigentümerversammlung stehen. Infolgedessen sollen Beschlüsse, die unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zustande kamen, anfechtbar sein. Damit greift der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit (m.E. viel zu weitgehend und die Wohnungseigentümer unzulässig "bevormundend") in die Organisationsfreiheit der Eigentümerversammlung ein und provoziert Beschlussanfechtungsverfahren wegen des Formfehlers der Nichtöffentlichkeit, da es in der Praxis (i.d.R. aus guten Gründen und mit Billigung der großen Mehrheit) häufig zur Teilnahme "Außenstehender" kommt. Richtiger Ansicht nach ist es Sache der Gemeinschaft, nach dem Maßstab ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 18 Abs. 2 WEG) durch Verfahrensbeschluss darüber zu entscheiden, ob Außenstehende zugelassen bzw. ausgeschlossen werden sollen oder nicht. Diese Auffassung hat durch die WEG-Reform 2020 erheblichen "Rückenwind" erfahren: Denn bei der nunmehr zulässigen Zuschaltung digitaler Teilnehmer zu einer Versammlung ("Hybridversammlung" → § 7 Rdn 98) kann kaum sichergestellt werden, dass bei den zugeschalteten Teilnehmern niemand heimlich zuhört. Weil es das Gesetz den Eigentümern also ermöglicht, durch die Wahl des Verfahrens in einem gewissen Umfang Verstöße gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit hinzunehmen, muss es den Eigentümern auch in anderen Fällen gestattet sein, den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zu durchbrechen, wenn es dafür sachliche Gründe gibt.
Rz. 73
Auch nach der h.M. gilt der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit nicht ausnahmslos, sondern wird in zahlreichen Sonderfällen durchbrochen (→ § 2 Rdn 92, 95). Dadurch ist die Rechtslage für Wohnungseigentümer und Verwalter mit großer Unsicherheit behaftet. Das ist desto misslicher, als es in diesen Fällen immer um "alles oder nichts" geht, denn die Entscheidung der Zulassung oder Nichtzulassung der "Externen" kann in beiden Richtungen zur Anfechtbarkeit aller auf der Versammlung gefassten Beschlüsse führen: Wird ein teilnahmeberechtigter "Externer" zu Unrecht ausgeschlossen wird, führt das zwangsläufig zur Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse, ohne dass es einer Darlegung der Kausalität bedürfte. Wird umgekehrt einem "Externen" unzulässig die Anwesenheit gestattet, sind bei konsequenter Anwendung der – quasi unwiderleglichen – Kausalitätsvermutung“ (→ § 2 Rdn 49) die Beschlüsse ebenfalls für ungültig zu erklären. M.E. ist nicht nur der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit, sondern auch die "Kausalitätsvermutung" in ihrer aktuell herrschenden Interpretation überzogen. Wenn sich ein "Externer" ruhig und unauffällig verhielt und die Versammlung nicht durch Wortbeiträge beeinflusste, müsste eine Anfechtung unter Berufung auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit mangels Kausalität des Formfehlers richtigerweise erfolglos bleiben.
Rz. 74
Beanstandet ein Versammlungsteilnehmer einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit nicht, kann er nach h.M. unter dem Gesichtspunkt der rügelosen Duldung später keine Anfechtung auf diesen Formfehler stützen (allgemein (→ § 2 Rdn 51). Teilweise wird in der Literatur zwar vertreten, die Zustimmung bzw. Nichtrüge der Versammlungsteilnehmer sei ungenügend, weil der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit als unverzichtbares Individualrecht auch die nicht erschienen Eigentümer schütze; nach dieser Auffassung können sogar Personen, die nicht in der Versammlung anwesend waren, die dort gefassten Beschlüsse mit der Begründung anfechten, an der Versammlung habe unzulässig ein Externer teilgenommen...