Rz. 89
Die Teilnahme von Beratern (insbesondere Rechtsanwälten) oder sonstigen Begleitern einzelner Wohnungseigentümer ist wegen des Gebots der Nichtöffentlichkeit grundsätzlich unzulässig. Eine Verschwiegenheitsverpflichtung des Beraters ändert daran nichts. Es gibt aber Ausnahmen, in denen ein Begleiter eines Wohnungseigentümers an der Versammlung teilnehmen darf (mit der Folge, dass sein unberechtigter Ausschluss die Anfechtbarkeit der Beschlüsse begründen würde). Die Rechtsprechung bejahte ein Teilnahmerecht in folgenden Fällen:
Rz. 90
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Hohes Alter oder geistige Gebrechlichkeit des Wohnungseigentümers. |
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Schwierigkeit der anstehenden Beratungsgegenstände oder deren besondere Bedeutung für den begleiteten Wohnungseigentümer. |
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Gesichtspunkt der "Waffengleichheit": wenn in einer Streitigkeit der Gemeinschaft mit einem Wohnungseigentümer ein "Gemeinschaftsanwalt" anwesend ist, darf auch der Anwalt des Wohnungseigentümers dabei sein. |
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Fehlende Sprachkenntnis des Wohnungseigentümers; ein Dolmetscher ist zulässig. |
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Anderen Begleitpersonen wird die Anwesenheit gestattet; in diesem Fall besteht ein Anspruch auf Gleichbehandlung. |
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Kein Grund: Zerstrittenheit der Wohnungseigentümer untereinander. |
Rz. 91
Praxistipp für Verwalter
Der generelle Ausschluss von Beratern einzelner Miteigentümer ist nicht sachgerecht; die Rechtsprechung überspannt den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Gute Berater stören nicht, sondern machen sich nützlich und können in emotional angespannten Situationen zur Versachlichung beitragen. Sofern keine Störungen zu erwarten sind, sollte ein Berater also zunächst einmal zugelassen werden, sofern auf Befragen (→ § 7 Rdn 76) kein Widerspruch dagegen erhoben wird. Nur wenn der Berater die Versammlung stört, ist er auszuschließen.
Rz. 92
Praxistipp für Wohnungseigentümer
Wer einen Berater zur Versammlung mitbringt, kann per Verfahrensantrag eine Entscheidung der Versammlung herbeiführen, falls der Verwalter den Berater nicht zulassen will. Entscheidet sich die Mehrheit gegen die Zulassung, kann der Wohnungseigentümer seinen Berater mit der Vertretung beauftragen und bevollmächtigen; als Vertreter ist der Berater nämlich teilnahmeberechtigt, sofern die Gemeinschaftsordnung keine beschränkende Vertreterklausel enthält. Dann hat der Eigentümer allerdings selber kein Teilnahmerecht mehr und muss die Versammlung verlassen.
Rz. 93
Die Teilnahme von Beratern der Gemeinschaft (z.B. Rechtsanwälten oder Architekten) zu bestimmten Tagesordnungspunkten ist zulässig und muss nicht besonders angekündigt werden. Ältere Rspr., wonach die Teilnahme eines Rechtsanwalts nur zulässig sein sollte, "solange nicht ein konkreter Interessengegensatz zwischen einem einzelnen Wohnungseigentümer und der Gesamtheit der übrigen Wohnungseigentümer hervorgetreten ist und kein Wohnungseigentümer der Anwesenheit widerspricht", ist überholt. Insbesondere ist ein etwaiger "Widerspruch" wirkungslos, denn es steht nicht zur Disposition einzelner Miteigentümer, über die Hinzuziehung von Beratern der Gemeinschaft zu entscheiden. Verfehlt ist auch die Annahme, die Teilnahme eines Rechtsanwalts sei nur zulässig, solange nicht ein konkreter Interessengegensatz zwischen einem einzelnen Wohnungseigentümer und der "Gesamtheit der übrigen Wohnungseigentümer" (was auch immer das sein soll) hervorgetreten sei. Im Gegenteil muss die Teilnahme auch und gerade dann zulässig sein, wenn ein Interessenkonflikt zwischen einem Wohnungseigentümer und der "Gesamtheit" bzw. der Gemeinschaft bereits vorhanden und Gegenstand der Beauftragung des Rechtsanwalts ist; sonst hätten die Mehrheitseigentümer keinen Anlass und keine Möglichkeit, sich von dem beauftragten Rechtsanwalt in einer Versammlung über laufende oder beabsichtigte Rechtsstreitigkeiten mit einem Miteigentümer informieren zu lassen.
Rz. 94
Unabhängig von der Frage des Teilnahmerechts an einer Versammlung müssen Rechtsanwälte berufs- und strafrechtlich das Verbot widerstreitender Interessen beachten. Die Probleme waren im alten Recht, als Beschlussanfechtungsklagen nicht gegen den Verband, sondern gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten waren, allerdings ungleich größer als nach dem geltenden Recht. Hauptsächlich geht es um die Situation, dass ein Rechtsanwalt die Gemeinschaft zuerst berät und sie später in derselben Angelegenheit gegenüber einer Beschlussanfechtungsklage vertritt.
Rz. 95
Beispiele
1. In einer Eigentümerversammlung wird über eine größere Sanierung beraten. Verwalter X zieht Rechtsanwalt R zur Versammlung hinzu, der die anwesenden Miteigentümer bei der Beschlussfassung berät. Anschließend werden bestimmte Sanierungsmaßnahmen beschlossen. Miteigentümer A ficht den Beschluss an, woraufhin X den R mit der Vertretung der Gemeinschaft zwecks Verteidigung des Beschlusses beauftragt. A erhebt daraufhin bei der Rechtsanwaltskammer eine Beschwerde weil R gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA, § 356 StGB...