Rz. 54

BGH, Urt. v. 30.6.2009 – VI ZR 310/08, zfs 2009, 673 = VersR 2009, 1136

Zitat

BGB §§ 823, 828 Abs. 2

Der Geschädigte, der sich darauf beruft, hat darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass sich nach den Umständen des Falles die typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs bei einem Unfall nicht realisiert hat.

a) Der Fall

 

Rz. 55

Der Kläger begehrte Ersatz des Schadens an seinem Fahrzeug Mazda Premacy. Zum Unfallzeitpunkt war das Fahrzeug auf dem Parkplatz der Realschule in W. geparkt. Die Parkplätze sind rechtwinklig zum davor verlaufenden Gehweg angeordnet. Die zum Unfallzeitpunkt 8-jährige Beklagte befuhr mit ihrem Fahrrad den Gehweg und stieß dabei, nachdem sie einige geparkte Fahrzeuge passiert hatte, gegen die linke Heckseite des Pkw des Klägers. Es entstand ein Sachschaden von insgesamt 950 EUR, für den der Kläger von der Beklagten Ersatz begehrte.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 56

Für den Streitfall war entscheidend, ob der Pkw des Klägers zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt war. Der Umstand war zwischen den Parteien streitig, die Beweisaufnahme hatte insoweit ein "non liquet" ergeben, so dass sich die Frage stellte, zu wessen Lasten dies ging. Das Berufungsgericht hatte angenommen, das "non liquet" gehe zu Lasten des Klägers.

 

Rz. 57

Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Die Beklagte war nach § 828 Abs. 2 S. 1 BGB für den Schaden an dem Pkw des Klägers nicht verantwortlich.

 

Rz. 58

Das Berufungsgericht hatte zutreffend die Haftung der Beklagten verneint, weil der Kläger nicht bewiesen hatte, dass der Unfall nicht aufgrund einer Überforderung der Beklagten passiert war.

 

Rz. 59

Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber die Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurt. v. 14.6.2005 – VI ZR 181/04, a.a.O. und v. 17.4.2007 – VI ZR 109/06, VersR 2007, 855, 856). Im Rahmen des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB geht das Gesetz im Regelfall von der fehlenden Verantwortlichkeit des Minderjährigen unter den dort genannten Voraussetzungen aus. § 828 Abs. 2 S. 1 BGB enthält somit eine Vermutung für die Deliktsunfähigkeit des Minderjährigen im Alter zwischen sieben und zehn Jahren im motorisierten Straßenverkehr. Demzufolge haften Minderjährige in der Regel vor Vollendung des 10. Lebensjahres nicht bei einem Unfall mit den in § 828 Abs. 2 S. 1 BGB genannten Fahrzeugen, es sei denn, dass sie vorsätzlich gehandelt haben (§ 828 Abs. 2 S. 2 BGB). Die Darlegungs- und Beweislast für die nach dem Gesetzeswortlaut erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB liegt nach den allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen beim Schädiger und somit beim Kind. Deshalb trägt der Minderjährige die Beweislast für die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung seiner fehlenden Deliktsfähigkeit nach § 828 Abs. 2 S. 1 BGB. Er muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er im Zeitpunkt des Unfalls im motorisierten Verkehr noch nicht das 10. Lebensjahr vollendet hatte.

 

Rz. 60

Hingegen handelt es sich um die Ausnahme vom Regelfall, wenn die nach dem Normzweck erforderliche besondere Überforderungssituation fehlt und deshalb die Haftungsfreistellung nicht zur Anwendung kommt. Der Geschädigte, der sich darauf beruft, hat deshalb darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass sich nach den Umständen des Falles die typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs bei einem Unfall nicht realisiert hat.

 

Rz. 61

Diese Beweislastverteilung ist grundsätzlich auch interessengerecht. Ob eine Fallkonstellation vorliegt, in der sich die typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs nicht realisiert hat, kann nur für den jeweiligen Einzelfall bestimmt werden. Es wäre aber nicht mit der gesetzgeberischen Intention zu vereinbaren, die Altersgrenze für die Deliktsfähigkeit eines Minderjährigen im motorisierten Verkehr generell auf die Vollendung des zehnten Lebensjahres heraufzusetzen, wenn der Minderjährige seine eigene Überforderung im Einzelfall beweisen müsste. § 828 Abs. 2 BGB würde im Hinblick auf die Beweisschwierigkeiten des Kindes häufig nicht greifen, obwohl die Überforderung des Minderjährigen nach dem Gesetz bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug grundsätzlich vermutet wird. Entgegen der Auffassung der Revision entfällt die Haftungsfreistellung nicht schon bei einem Unfall im ruhenden Verkehr. In besonders gelagerten Fällen kann sich auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen (vgl. etwa Sena...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge