Rz. 75
Der gute Glaube an die Vertretungsmacht ist im Rechtsverkehr grds. unerheblich. Da in der Praxis jedoch zwischen der Vertretungs- und der Verfügungsmacht zumeist nicht streng getrennt wird und oftmals beim Handeln im Betrieb auch nicht feststellbar ist, ob der Betriebsinhaber im eigenen oder im fremden Namen auftritt, wird von der bislang wohl herrschenden Meinung mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm des § 366 HGB, nämlich die Sicherheit des Handelsverkehrs zu gewährleisten, angenommen, dass – jedoch nur beschränkt auf das Handelsrecht – auch der gute Glaube an die Vertretungsmacht durch § 366 HGB geschützt werde. Für diese Erweiterung des Schutzzwecks des § 366 HGB spreche i.Ü. auch seine Entstehungsgeschichte, wonach § 366 HGB den guten Glauben an "die Befugnis, (…) über eine fremde Sache, sei es im eigenen Namen, sei es im Namen des Eigentümers zu verfügen", schützen wolle.
Rz. 76
Die Gegenauffassung in der Literatur hält dagegen den Dritten nicht für schutzwürdig, da sich schon aus der Berufsstellung des Verfügenden ohne Weiteres ergebe, ob dieser im eigenen Namen – so z.B. der Kommissionär – oder im fremden Namen – so z.B. der Handelsvertreter – handele. Zudem seien Praktikabilitätsgesichtspunkte keine überzeugende Rechtfertigung dafür, dass der wahre Berechtigte die Verfügung gegen sich gelten lassen müsse. Schließlich bestehe auch keinerlei Bedürfnis für die Anwendung des § 366 HGB auf die Fälle des guten Glaubens an die Vertretungsmacht, da die wichtigsten Konstellationen ohnehin über die Anscheins- und Duldungsvollmacht oder über § 56 HGB gelöst werden könnten.
Rz. 77
Die oben geschilderte wohl herrschende Meinung ist sich indessen nicht einig in der Frage, ob der gute Glaube an die Vertretungsmacht im Interesse der Sicherheit des Handelsverkehrs nur im Hinblick auf den Eigentumserwerb, also das dingliche Geschäft, zu schützen sei oder darüber hinaus auch der gute Glaube an die Vertretungsmacht beim zugrunde liegenden schuldrechtlichen Kausalgeschäft geschützt werden müsse.
Ein Teil lehnt diese Erweiterung des Gutglaubensschutzes ab und belässt es insoweit bei der Regelung des § 177 BGB.
Die Gegenmeinung hält diese Beschränkung auf das Verfügungsgeschäft für inkonsequent, da dadurch dem Erwerber über § 812 BGB das genommen werde, was ihm infolge der analogen Anwendung des § 366 Abs. 1 HGB zugefallen sei. Daher müsse die gesetzliche Regelung des § 366 Abs. 1 HGB als Rechtsgrund für den Eigentumserwerb angesehen werden, mit der Folge, dass der Erwerber auch keinem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ausgesetzt sei.
Dem wird wiederum entgegengehalten, dass für eine Ausweitung auch auf das Grundgeschäft kein praktisches Bedürfnis bestehe, da der Erwerber nach der herrschenden Saldotheorie der Herausgabekondition die Rückforderung des an den vollmachtlosen Vertreter gezahlten Kaufpreises entgegenhalten könne.