Rz. 95
Im Folgenden werden die besonderen Handelsgeschäfte dargestellt, nämlich der Handelskauf (§§ 373–381 HGB), das Kommissionsgeschäft (§§ 383–406 HGB), das Frachtgeschäft (§§ 407–452d HGB), das Speditionsgeschäft (§§ 453–466 HGB) und das Lagergeschäft (§§ 467–475h HGB).
I. Handelskauf
Rz. 96
Das häufigste und damit wichtigste Handelsgeschäft ist der Handelskauf (§§ 373 ff. HGB).
1. Allgemeine Vorschriften über den Handelskauf
Rz. 97
Ein Handelskauf liegt nur vor, wenn es sich um einen Kaufvertrag i.S.d. §§ 433 ff. BGB handelt, dessen Gegenstand Waren (§ 373 HGB) oder Wertpapiere (§ 381 Abs. 1 HGB) sind, und zumindest eine Partei ein Kaufmann ist, für den der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört (§§ 343, 344 HGB).
Die §§ 373 ff. HGB finden auch Anwendung auf den Tauschvertrag (§ 480 BGB) und auf den Werklieferungsvertrag, also auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat (§ 381 Abs. 2 HGB). Im Zusammenhang mit § 381 Abs. 2 HGB ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift nur die generelle Anwendung der §§ 373 ff. HGB bestimmt, i.Ü. aber die Unterscheidung des § 651 BGB über die Anwendung von Kauf- oder Werkvertragsrecht unberührt lässt.
Rz. 98
Da in den §§ 375 Abs. 1, 381 Abs. 2 HGB von beweglichen Sachen die Rede ist, werden vom Warenbegriff der §§ 373 ff. HGB nach herrschender Meinung nur handelbare bewegliche Sachen erfasst. Demgemäß liegt ein Handelskauf nicht vor bei Kaufverträgen über Grundstücke, Forderungen, nicht als Wertpapiere verbriefte Rechte oder sonstige vermögenswerte Positionen, wie z.B. Unternehmen als Sachgesamtheiten. Zwar können Kaufverträge über solche Güter Handelsgeschäfte i.S.d. § 343 HGB sein, auf die dann die allgemeinen Vorschriften der §§ 343–372 HGB Anwendung finden, nicht aber die Sondervorschriften der §§ 373 ff. BGB über den Handelskauf.
Rz. 99
Nach § 345 HGB genügt es für die Anwendung der §§ 373 ff. HGB grds., wenn der Kaufvertrag nur für eine Partei ein Handelsgeschäft ist und damit nur ein einseitiger Handelskauf vorliegt. So sind die §§ 373–376 HGB über die Hinterlegung und den Selbsthilfeverkauf beim Annahmeverzug des Käufers, über den Spezifikationskauf und den Fixhandelskauf auch dann anwendbar, wenn entweder nur der Verkäufer oder nur der Käufer ein Handelsgeschäft i.S.d. §§ 343, 344 HGB tätigt. Dagegen gelten die Sonderregeln der §§ 377–379 HGB über die Mängelrüge und die Aufbewahrungspflicht nur für den beiderseitigen Handelskauf, also für die Fälle, in denen sowohl Käufer als auch Verkäufer Kaufleute sind, und für beide Parteien der Kauf zum Betrieb ihres Handelsgewerbes gehört.
a) Annahmeverzug des Käufers beim Handelskauf
Rz. 100
Der Annahmeverzug des Käufers beim Handelskauf hat in den Vorschriften der §§ 373, 374 HGB insoweit eine eigenständige Regelung erfahren, als dadurch eine Erweiterung der Rechte des Verkäufers bei Annahmeverzug des Käufers nach BGB bewirkt wird. § 373 HGB beinhaltet also letztendlich eine Kumulation der Rechte aus BGB und HGB. Dem Verkäufer werden zusätzlich das Recht zur Hinterlegung (§ 373 Abs. 1 HGB) und das Recht zum Selbsthilfeverkauf (§ 373 Abs. 2–5 HGB) eingeräumt. § 374 HGB bestimmt, dass die Rechte des Verkäufers wegen Annahmeverzugs nach dem BGB unberührt bleiben, sodass der Verkäufer sowohl die Rechte aus dem BGB als auch die aus dem HGB geltend machen kann. Erst recht bleiben die Rechte des Verkäufers bei Schuldnerverzug des Käufers mit seiner Abnahmepflicht (§ 433 Abs. 2 BGB) nach den §§ 286 ff. BGB unberührt.
Rz. 101
Das Recht des Verkäufers zum Selbsthilfeverkauf ist unter folgenden Voraussetzungen möglich:
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Es muss ein Handelskauf vorliegen, wobei schon ein einseitiger Handelskauf ausreicht. |
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Der Käufer muss sich in Annahmeverzug befinden. Dessen Voraussetzungen richten sich allein nach den §§ 293 ff. BGB. Das HGB enthält insoweit keine Besonderheiten. |
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Der Selbsthilfeverkauf muss rechtzeitig angedroht werden (§ 373 Abs. 2 HGB). Die Androhung braucht dabei nicht die Art des Selbsthilfeverkaufs (öffentliche Versteigerung oder freihändiger Verkauf) zu benennen. Eine unbestimmt gehaltene Androhung ist aber als Androhung des gesetzlichen Regelfalls, also der öffentlichen Versteigerung, auszulegen. Sofern der Verkäufer eine bestimmte Art des Selbsthilfeverkaufs angedroht hat, ist er daran bis auf Widerruf gebunden. Hat er also z.B. öffentlichen Verkauf angedroht, so darf er nicht ohne neue Androhung freihändig verkaufen. Die Androhung ist formfrei, kann also auch mündlich oder fernmündlich erfolgen. Entfallen kann die Androhung, wenn sie untunlich ist, insb. bei leicht verderblichen Waren (... |