Rz. 43
Die Bedeutung des § 362 HGB, der die Rechtsfolgen eines Schweigens auf ein Angebot zur Geschäftsbesorgung im Handelsrechtsverkehr besonders regelt, wird deutlich, wenn man diese Vorschrift mit ihrem Pendant im allgemeinen bürgerlichen Recht, dem § 663 BGB, vergleicht.
Rz. 44
§ 663 BGB ändert nichts an dem Grundsatz, dass Verträge i.d.R. durch Antrag und Annahme zustande kommen (§§ 145, 146 BGB), sondern verpflichtet als gesetzlich geregelter Fall der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB nur zum Ersatz des Vertrauensschadens (c.i.c.) nach § 280 Abs. 1 BGB. § 663 BGB gilt, wenn jemand zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt ist oder sich dazu öffentlich erboten hat (§ 663 Satz 1 BGB) und wenn sich jemand dem Auftraggeber ggü. zur Besorgung gewisser Geschäfte erboten hat (§ 663 Satz 2 BGB). § 663 BGB – bei Auftrag i.V.m. § 675 Abs. 1 BGB, auch bei Dienst- und Werkverträgen, die eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand haben – verpflichtet den Antragsempfänger, der nicht unverzüglich, d.h. schuldhaft (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), die Ablehnung mitteilt, zum Ersatz des Vertrauensschadens, also des sog. negativen Interesses. Geschäftsbesorgung ist jede wirtschaftliche Tätigkeit für andere, auch eine rein tatsächliche, die kein dauerndes Dienstverhältnis begründet, nicht also die Handelsvertretung nach den §§ 84 ff. HGB.
Rz. 45
Unter den Voraussetzungen des § 362 HGB kommt es anders als nach § 663 BGB nicht nur zu einer Schadensersatzhaftung, sondern zu einer Vertragshaftung. Rechtsgrund des § 362 HGB ist der Schutz des Handels- und Berufsverkehrs. Dem Wortlaut nach betrifft § 362 HGB nur Kaufleute i.S.d. §§ 1–5 HGB (§ 362 Abs. 1 Satz 1 HGB). Er ist aber auch anwendbar auf wie Kaufleute auftretende Nichtkaufleute und entsprechend anwendbar auf "kaufmannsähnliche" Personen, d.h. selbstständig beruflich am Markt tätige Nichtkaufleute, deren Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt. Geschäfte für einen anderen besorgt, wer – außerhalb eines dauernden Dienstverhältnisses – eine an sich dem anderen zukommende Tätigkeit rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art diesem abnimmt.
Rz. 46
Der Antrag muss hinreichend bestimmt sein und von jemandem kommen, mit dem der Kaufmann in Geschäftsverbindung steht, d.h. in geschäftlicher Beziehung, die – objektiv – auf gewisse Dauer angelegt ist. Die Pflicht zur unverzüglichen Antwort gilt nach § 362 Abs. 1 Satz 2 HGB ferner für jeden Kaufmann, wenn ihm ein Antrag – gleich ob im Rahmen dessen, was er regelmäßig betreibt – zugeht von jemandem, dem er sich zur Besorgung solcher Geschäfte – wie nun angetragen – erboten hat. Ein öffentliches Erbieten führt – im Gegensatz zu § 663 BGB – nicht zur Anwendung des § 362 HGB, wohl aber ein Erbieten an viele, z.B. durch die Rundsendung einer Werbedrucksache.
Rz. 47
Mangels unverzüglicher (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) Antwort gilt der Antrag als angenommen, mit der Folge, dass das Vertragsverhältnis zustande kommt (§ 362 Abs. 1 Satz 1 und § 362 Abs. 1 Satz 2 HGB). Darauf kann sich auch der Schweigende berufen. Nur Schweigen schadet, nicht jedoch eine Antwort, die die Vertragsverhandlung in der Schwebe hält.
Hinweis
Unschädlich ist auch eine unklare Antwort, die nicht deutlich macht, ob angenommen oder abgelehnt wird (z.B. "Antrag zur Kenntnis genommen" oder etwa "Antrag notiert"). Die rechtzeitige Absendung der Ablehnung genügt, sodass das Zugangsrisiko den Antragenden trifft. Ist einmal abgelehnt, entfällt bei neuem Antrag unter nicht wesentlich geänderten Umständen die Ablehnungspflicht, d.h. die Anwendbarkeit des § 362 HGB und auch die des § 663 BGB. Die Verkehrsschutzgrenzen werden subjektiv durch die Bösgläubigkeit des Antragenden und objektiv dadurch gebildet, dass der Antrag keinen solchen Inhalt haben darf, dass im Verkehr verständlicherweise nicht mit der Annahme zu rechnen ist.
Rz. 48
Die Anfechtung durch den Antragsempfänger ist nach den §§ 119–124 BGB möglich, jedoch nicht aus dem Grund (§ 119 Abs. 1 BGB), dass er durch sein Schweigen nicht habe annehmen wollen, denn darauf kommt es nach § 362 HGB gerade nicht an.
Rz. 49
In den Fällen des § 362 Abs. 1 Satz 1 HGB und § 362 Abs. 1 Satz 2 HGB muss auch der ablehnende Kaufmann gem. § 362 Abs. 2 HGB mitgesandte Waren auf Kosten des Antragenden einstweilen vor Schaden bewahren, wenn die dafür notwendigen Kosten gedeckt sind und sei es nur durch die Ware selbst – etwa durch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB, ggf. auch § 369 HGB – und es ohne Nachteil für ihn geschehen kann, er also dadurch keinen Schaden erleidet. Der Kaufmann kann die Ware auch bei einem anderen lagern. Er muss sie dann aber geeignetenfalls versichern. Durch das Tatbestandsmerkmal "mitgesendete" stellt das Gesetz in § 362 Abs. 2 HGB sicher, dass die Waren – wenn auch gesondert verschickt – zum Auftrag in Beziehung stehen müssen. Das Tatbestandsmerkmal "einstweilen" stellt klar, dass die Verwahrung nu...