Rz. 56
Das Kontokorrent (aus dem Italienischen "conto corrente" = laufende Rechnung) dient der vereinfachten Abwicklung gegenseitiger Geldansprüche (Hauptfall in der Praxis: Bankkontokorrent). Eine Mehrzahl wechselseitiger Ansprüche wird dabei auf eine einzige Schuld bzw. Forderung der einen Vertragspartei gegen die andere Vertragspartei reduziert.
1. Begriff des Kontokorrents
Rz. 57
Nach der gesetzlichen Definition in § 355 Abs. 1 HGB liegt ein Kontokorrent vor, wenn jemand mit einem Kaufmann derart in Geschäftsverbindung steht, dass die aus der Verbindung entstehenden beiderseitigen Ansprüche und Leistungen nebst Zinsen in Rechnung gestellt und in regelmäßigen Zeitabschnitten durch Verrechnung und Feststellung des sich für den einen oder anderen Teil ergebenden Überschusses ausgeglichen werden.
Rz. 58
Im Einzelnen müssen für das in § 355 Abs. 1 HGB geregelte Kontokorrent folgende Voraussetzung erfüllt sein:
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Mindestens einer der Beteiligten muss Kaufmann sein. Anerkannt ist allerdings, dass es sich bei § 355 HGB nicht um eine zwingende Vorschrift handelt, sodass auch zwei nichtkaufmännische Unternehmer oder sogar zwei Verbraucher ein Kontokorrent vereinbaren können (sog. uneigentliches Kontokorrent). Dann handelt es sich jedoch nicht um ein Kontokorrent i.S.d. § 355 HGB, mit der Folge, dass Zinseszinsen wegen § 248 BGB nicht verlangt werden können. I.Ü. gelten die §§ 355 ff. HGB analog, soweit dies dem Parteiwillen entspricht. |
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Zwischen den Parteien muss eine Geschäftsverbindung bestehen, aus der beiderseitige Forderungen entstehen. Bei dieser Geschäftsverbindung kann es sich um ein einzelnes Dauerrechtsverhältnis, z.B. einen Girovertrag oder eine Kreditverbindung handeln, oder um eine solche, bei der es zu ständig neuen Geschäftsabschlüssen kommt, wie es z.B. der Fall ist, wenn ein verladendes Unternehmen regelmäßig einen bestimmten Spediteur beauftragt. Entscheidend ist in beiden Konstellationen, dass die Möglichkeit einer größeren Zahl von den Schuldstand ändernden Vorgängen besteht, ohne dass dies sicher feststehen müsste. |
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Schließlich muss eine Verrechnungsabrede (sog. Kontokorrentabrede) getroffen werden, die auf folgende Rechtsfolgen gerichtet ist:
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Die "aus der Verbindung entspringenden beiderseitigen Ansprüche und Leistungen" werden "nebst Zinsen in Rechnung gestellt" (§ 355 Abs. 1 HGB). Dadurch verlieren die einzelnen Forderungen in der Geschäftsbeziehung ihre rechtliche Selbstständigkeit. Sie können nicht selbstständig geltend gemacht und auch nicht selbstständig erfüllt werden. Durch die Verrechnungsabrede unterscheidet sich das Kontokorrent von der sog. offenen Rechnung. Bei dieser bleiben die einzelnen Rechnungsposten selbstständig bestehen, mit der Folge, dass die einzelnen Ansprüche jederzeit vom Gläubiger isoliert geltend gemacht bzw. vom Schuldner entsprechend den §§ 366, 367 BGB getilgt werden können. |
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Die Forderungen werden "in regelmäßigen Zeitabschnitten durch Verrechnung und Feststellung des für den einen oder anderen Teil sich ergebenden Überschusses ausgeglichen". Die rechtliche Bewertung dieser "Verrechnung" ist umstritten. Die Rspr. bewertet die Verrechnung als unselbstständigen Teilakt des Saldoanerkenntnisses. Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, dass durch die Verrechnung eine kausale Saldoforderung entstehe, die wiederum Grundlage für das spätere abstrakte Saldoanerkenntnis sei. Nach der Rspr. des BGH entsteht dagegen eine kausale Saldoforderung nur gem. § 355 Abs. 3 HGB bei der Beendigung des Kontokorrentverhältnisses. |
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Die "Feststellung" erfolgt dadurch, dass die kontoführende Partei den Rechnungsabschluss mit dem sich daraus ergebenden Saldo ermittelt. Darin liegt das Angebot auf Abschluss eines Anerkenntnisvertrages (§ 781 BGB), den die andere Partei durch das Saldoanerkenntnis annimmt. Wenn kein Saldoanerkenntnis vorliegt, muss der Gläubiger den Saldo darlegen und ggf. beweisen. |
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2. Rechtswirkungen des Kontokorrents
Rz. 59
Die entscheidende Rechtswirkung des Kontokorrents besteht darin, dass die darin eingestellten Forderungen ihre rechtliche Selbstständigkeit verlieren und dadurch zu bloßen Rechnungsposten werden.
a) Unselbstständigkeit der in das Kontokorrent eingestellten Forderungen
Rz. 60
Diese Rechnungsposten können weder selbstständig geltend gemacht werden noch sind sie isoliert erfüllbar. Die in das Kontokorrent eingestellten Forderungen sind demgemäß auch nicht gesondert abtretbar, verpfändbar (§ 1274 Abs. 2 BGB) und auch nicht im Wege der Zwangsvollstreckung pfändbar (§ 851 Abs. 1 ZPO). Trotz d...