Rz. 93

Die Gründe, welche einer Anerkennung entgegenstehen, sind abschließend in Art. 40 EuErbVO aufgezählt. Weitere Einwände sind also nicht zulässig. Insbesondere darf die Richtigkeit der Entscheidung nicht mehr überprüft werden (Verbot der révision au fond, Art. 41 EuErbVO).

 

Rz. 94

Nach Art. 40 lit. a EuErbVO wird eine Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen durch die öffentliche Ordnung (ordre public) des Anerkennungsstaates beschränkt. Der Begriff des ordre public ist ähnlich zu verstehen wie in Art. 35 EuErbVO, umfasst also nur offensichtliche und besonders schwere Verstöße gegen grundlegende Rechtsanschauungen. Nicht die Entscheidung selbst, sondern gerade ihre konkreten Wirkungen im Anerkennungsstaat müssen im Konflikt mit dem dortigen ordre public stehen.[90] Über Art. 35 EuErbVO hinaus, der nur den materiellrechtlichen ordre public betrifft, ist bei der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung auch der verfahrensrechtliche ordre public zu beachten, also der Weg, auf dem die Entscheidung zustande gekommen ist. Hier ergeben sich die zu beachtenden Grundwerte vornehmlich aus den verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien (insbesondere aus Art. 103 GG), aus der Europäischen Grundrechtecharta und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Da letztere beide Regelwerke aber ohnehin für alle Mitgliedstaaten der EuErbVO unmittelbar gelten, dürften Verletzungen des verfahrensrechtlichen ordre public in der Praxis kaum vorkommen.

 

Rz. 95

Nicht anerkannt werden kann nach Art. 40 lit. b EuErbVO eine ausländische Entscheidung, die ergangen ist, obwohl der Beklagte keine Möglichkeit hatte, sich angemessen zu verteidigen. Das ist dann der Fall, wenn der das Verfahren einleitende Schriftsatz nicht oder nicht rechtzeitig zugestellt wurde. Welche Frist einzuhalten ist, damit die Zustellung noch als "rechtzeitig" gelten kann, ist in der EuErbVO nicht näher ausgeführt und daher im Einzelfall je nach den Umständen des Falles zu bestimmen.[91] Sind erst im laufenden Verfahren gerichtliche Schreiben nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, liegt kein Fall von Art. 40 lit. b EuErbVO, möglicherweise aber von Art. 40 lit. a EuErbVO vor. Auf Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit passt die Norm ihrem Wortlaut nach ebenfalls nicht; auch dort wären wertungsmäßig vergleichbare Zustellungsmängel allenfalls nach Art. 39 lit. a EuErbVO ein Hinderungsgrund für die Anerkennung.[92]

 

Rz. 96

Hat der Beklagte auf andere Weise von dem Verfahren rechtzeitig Kenntnis erlangt, so hat sich der Zustellungsmangel nicht ausgewirkt und die Entscheidung wird anerkannt.[93] Außerdem liegt kein Anerkennungshindernis vor, wenn der Beklagte sich trotz des Zustellungsfehlers zur Sache eingelassen hat; er hat dann seine Bereitschaft gezeigt, das Verfahren zu führen. Unschädlich ist es hingegen, wenn er lediglich den Zustellungsmangel gerügt, aber darüber hinaus keinen weiteren Sachvortrag abgegeben hat. Schließlich darf der Beklagte die Ausgangsentscheidung nicht angefochten haben, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Versäumt er es, Rechtsmittel einzulegen, wirkt die Entscheidung also in allen Mitgliedstaaten gegen ihn.

 

Rz. 97

Zuletzt erfasst Art. 40 lit. c und lit. d EuErbVO die Fälle inhaltlich miteinander unvereinbarer Entscheidungen. Diese sollen eigentlich durch eine Verfahrensaussetzung nach Art. 17 EuErbVO vermieden werden. Erlassen aber doch die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten Entscheidungen in derselben Sache und mit denselben Parteien mit sich widersprechenden Wirkungen, so ist danach zu differenzieren, ob eine dieser Entscheidungen von einem Gericht des Anerkennungsstaates stammt oder nicht. Denn nach Art. 40 lit. c EuErbVO setzt sich in diesem Fall immer die Entscheidung des inländischen Gerichts durch, selbst wenn sie zeitlich nach der anderen Entscheidung ergangen ist; die ausländische Entscheidung wird dann in diesem Land nicht anerkannt. Dagegen werden Konflikte zwischen Entscheidungen aus zwei verschiedenen ausländischen Mitgliedstaaten nach dem Prioritätsprinzip aufgelöst, nach Art. 40 lit. d EuErbVO wird dann also die zeitlich frühere Entscheidung anerkannt.

[90] Köhler, in: Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales Erbrecht, 2. Aufl. 2017, Teil 1 § 5 Rn 5; NK-BGB/Makowsky, Bd. 6, 2. Aufl. 2015, Art. 40 EuErbVO Rn 4.
[91] Weber, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 40 EuErbVO Rn 24 ff. ("Faustregel mindestens 3 Wochen", Rn 26).
[92] Franzmann/Schwerin, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2016, Art. 40 EuErbVO Rn 6.
[93] NK-BGB/Makowsky, Bd. 6, 2. Aufl. 2015, Art. 40 EuErbVO Rn 8.

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