Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff
Rz. 18
Die subsidiären Zuständigkeiten nach Art. 10 Abs. 1 und Abs. 2 EuErbVO setzen übereinstimmend stets die Belegenheit von Nachlassvermögen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts als sachliche Beziehung des Erbfalls zur EU voraus. Unter dem autonom auszulegenden Begriff des "Nachlassvermögens" sind nur Aktiva des Nachlasses zu verstehen. Hinterlässt der Erblasser nur Schulden, können diese die Belegenheitszuständigkeit nach Art. 10 EuErbVO nicht begründen. Dies zeigt ein Vergleich mit der englischen (assets of the estate) und französischen (biens successoraux) Sprachfassung, die bereits begrifflich auf Aktivvermögen des Erblassers abstellen. Diskutiert wird zudem, ob die im Mitgliedstaat belegenen Nachlassgegenstände einen gewissen Mindestwert erreichen müssen. Dies ist jedoch abzulehnen: Die EuErbVO sieht eine solche Bagatellgrenze nicht vor. Zudem lassen sich schlicht auch keine rechtssicheren Kriterien aus der Verordnung für die Höhe der Bagatellgrenze ableiten.
Rz. 19
Zur Bestimmung des Belegenheitsortes der einzelnen Nachlassgegenstände enthält die EuErbVO keine Vorgaben. Diese Bestimmung ist jedoch autonom aus der europäischen Perspektive vorzunehmen; insbesondere ist ein Rückgriff auf nationales Recht nicht möglich. In der Literatur wird dabei zu Recht eine rechtsaktübergreifende Auslegung vor allem anhand der EuInsVO 2017 vorgeschlagen. Der Belegenheitsort der Nachlassgegenstände ist demnach nach den Vorgaben des Art. 2 Nr. 9 EuInsVO 2017 zu ermitteln. Im Übrigen gilt für nicht registrierbare Immaterialgüterrechte, dass sich diese in dem Mitgliedstaat befinden dürften, für dessen Hoheitsgebiet sie Schutz gewähren. Nichtregistrierbare Gesellschaftsanteile befinden sich im Mitgliedstaat, in dessen Register die Gesellschaft eingetragen ist, bzw. mangels Registrierung nach dessen Recht sie errichtet wurden.
Rz. 20
Schwierigkeiten bereitet regelmäßig auch die Lokalisierung eines Miterbteils, der sich im Nachlass eines verstorbenen Miterben befindet. Hier dürfte zunächst danach zu differenzieren sein, ob das anwendbare Erbrecht eine unmittelbare Bruchteilsbeteiligung der Miterben an den einzelnen Nachlassgegenständen vorsieht. In diesem Fall richtet sich die Nachlassbelegenheit danach, wo sich der einzelne Nachlassgegenstand unter Berücksichtigung der EuInsVO 2017 befindet. Ist das Nachlassvermögen jedoch, wie im deutschen Recht, Gesamthandsvermögen der Miterben, kann es nicht auf die Belegenheit der einzelnen Nachlassgegenstände selbst ankommen, da die Beteiligung der Miterben nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar ist. Vorzugswürdig erscheint es, im Rahmen des Art. 10 EuErbVO den Anteil des Miterben dort zu lokalisieren, wo eine internationale Zuständigkeit nach den Art. 4 ff. EuErbVO für ein Verfahren nach dem (ursprünglichen) Ersterblasser bestehen würde. Hierdurch wäre eine autonome Zuständigkeitsbestimmung in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. Zudem wäre auch gewährleistet, dass für Nachlassvermögen des Ersterblassers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stets eine internationale Zuständigkeit eines Mitgliedstaates der EU besteht, der ein ENZ ausstellen könnte. Würde man hingegen etwa auf das Erbstatut nach dem Ersterblasser abstellen, müsste unter Umständen bei einem drittstaatlichen Erbstatut eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO eröffnet werden, wenn hinsichtlich einer in Deutschland belegenen Immobilie keine Zuständigkeit eines europäischen Gerichts zur Erteilung eines ENZ besteht und die Grundbuchberichtigung daher unmöglich wäre.
Rz. 21
Art. 10 EuErbVO enthält keine Aussage darüber, wann das Nachlassvermögen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts belegen sein muss. Abzustellen ist sinnvollerweise auf den Zeitpunkt der Anrufung des mitgliedstaatlichen Gerichts, da ab diesem Zeitpunkt die perpetuatio fori eintritt.