Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff
Rz. 83
Das autonome Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten wird durch die EuErbVO weitestgehend verdrängt. Ein Rückgriff auf diese Zuständigkeitsvorschriften ist nur außerhalb des sachlichen oder zeitlichen Anwendungsbereichs der EuErbVO (Art. 83 Abs. EuErbVO) möglich. In diesen Fällen ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus den Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit (siehe § 105 FamFG) (Theorie der Doppelfunktionalität).
Für die besondere amtliche Verwahrung richtet sich die internationale Zuständigkeit nach §§ 105, 343, 344 Abs. 1 bis 3 FamFG. Für die Eröffnung einer vom Gericht verwahrten Verfügung von Todes wegen richtet sich die Zuständigkeit nach §§ 105, 344 Abs. 6 FamFG.
I. Zuständigkeit für Erbfälle bis einschließlich zum 16.8.2015, insbesondere für Erbscheinsverfahren
Rz. 84
Ist der Erblasser vor dem 17.8.2015 verstorben (Altfälle), richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem autonomen Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 83 Abs. 1 EuErbVO. In bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten richtet sich die internationale Zuständigkeit in Altfällen weiter nach den §§ 12 ff. ZPO (analog), wobei insbesondere die Gerichtsstände nach § 27 ZPO und § 28 ZPO von Bedeutung sind.
Rz. 85
Bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist jedoch die Regelung des Art. 229 § 36 EGBGB zu beachten. Hiernach sind in Altfällen auf Verfahren zur Erteilung von Erbscheinen das BGB und das FamFG in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden. In dieser Fassung ist das FamFG dabei unabhängig davon anzuwenden, ob der Erblasser vor Inkrafttreten des FamFG verstorben ist. Über den Wortlaut hinaus ist Art. 229 § 36 EGBGB entsprechend auf sämtliche Nachlassverfahren nach § 342 Abs. 1 FamFG anzuwenden, sodass in Altfällen stets auf die alte Fassung des FamFG zurückzugreifen ist.
Rz. 86
§§ 105, 343 FamFG a.F. knüpft die internationale Zuständigkeit Deutschlands an den Wohnsitz des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalles an (§ 343 Abs. 1 Hs. 1 FamFG). Hatte der Erblasser keinen Wohnsitz im Inland, knüpft § 343 Abs. 1 Hs. 2 FamFG a.F. die internationale (und örtliche) Zuständigkeit Deutschlands an den schlichten Aufenthalt des Erblassers an. War der Erblasser deutscher Staatsangehöriger ohne Wohnsitz oder Aufenthalt in Deutschland, ist das AG Berlin Schöneberg international und örtlich nach § 343 Abs. 2 FamFG a.F. zuständig. War der Erblasser Ausländer ohne Wohnsitz oder Aufenthalt in Deutschland, ist zuletzt jedes Amtsgericht, in dessen Bezirk sich Nachlassgegenstände befinden, international und örtlich für alle Nachlassgegenstände zuständig (§ 343 Abs. 3 FamFG a.F.).
II. Zuständigkeit aufgrund vorrangiger abweichender Staatsverträge, insbesondere Deutsch-Türkisches Nachlassabkommen
Rz. 87
Enthalten Staatsverträge mit Drittstaaten ebenfalls Regelungen über die internationale Zuständigkeit in Erbsachen, gehen diese nach Art. 75 Abs. 1 EuErbVO der Verordnung ebenfalls vor. Aus deutscher Sicht betrifft das vor allem das Deutsch-Türkische Nachlassabkommen. § 15 dieses Abkommens regelt die internationale Zuständigkeit und ordnet eine zuständigkeitsrechtliche Nachlassspaltung an. Für den beweglichen Nachlass knüpft das Abkommen an die Staatsangehörigkeit des Erblassers an. Für den unbeweglichen Nachlass sind hingegen die Gerichte des Belegenheitsstaats zuständig. Die Qualifikation eines Nachlassgegenstandes als unbeweglich richtet sich nach § 12 Abs. 3 des Abkommens nach dem Recht des Belegenheitsortes des Nachlassgegenstandes. Die Zuständigkeit nach § 15 des Abkommens ist eine ausschließliche. Gerichtsstandsvereinbarungen sind unzulässig.
Rz. 88
§ 15 des Abkommens erfasst indes nur (streitige) Verfahren, die die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche (nach § 2018 BGB), Ansprüche aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsansprüche betreffen. Nicht erfasst sind demnach Verfahren hinsichtlich der Erbauseinandersetzung oder die Durchsetzung von Nachlassansprüchen. Auch Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit fallen nicht unter das Abkommen, sodass sich diese nach der EuErbVO richten.
Rz. 89
Der Vorrang der Zuständigkeit des Abkommens vor der EuErbVO setzt jedoch stets voraus, dass der persönliche und räumliche Anwendungsbereich des Abkommens eröffnet ist. Hier ist vieles umstritten. Nach der überwiegenden Auffassung ist das Abkommen in persönlicher Hinsicht nur dann anzuwenden, wenn eine Staatangehöriger des jeweils anderen Vertragsstaates verstirbt; nicht hingegen auf deutsch-türkische Doppelstaatler, da diese einen entsprechenden Schutz des Abkommens nicht benötigen. Bei Doppelstaatlern mit drittstaatlicher Staatsangehörigkeit soll es auf die e...