Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff
Rz. 6
Für Verfahren, die in den Anwendungsbereich der EuErbVO fallen, regeln die Art. 4 ff. EuErbVO die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte. Wie auch bei sonstigen europäischen Rechtsakten muss die Auslegung der von der EuErbVO verwendeten Systembegriffe autonom erfolgen. Ein Rückgriff auf ein nationales Begriffsverständnis ist damit grundsätzlich nicht möglich.
Rz. 7
Die Zuständigkeitsvorschriften der Art. 4 ff. EuErbVO beziehen sich auf "Entscheidungen in Erbsachen". Der Begriff der "Erbsache" ist nicht legal definiert. Er erfasst sämtliche Entscheidungen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung nach Art. 1 Abs. 1 EuErbVO fallen. Gegenstand der Entscheidung muss daher ein Aspekt der Rechtsnachfolge von Todes wegen sein, der nicht vom Anwendungsbereich nach Art. 1 Abs. 2 EuErbVO ausgenommen ist. Indizien für die autonome Auslegung des Umfangs des sachlichen Anwendungsbereichs geben die Definition der Rechtsnachfolge von Todes wegen in Art. 3 Abs. 1 lit. a EuErbVO, die Erwägungsgründe 9 ff. EuErbVO als auch die Bestimmungen der EuErbVO selbst. So zählen die Art. 23 Abs. 2 und 26 Abs. 2 EuErbVO exemplarisch Aspekte auf, die unter das Erbstatut fallen bzw. von der materiellen Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen erfasst sind. Die EuErbVO gilt nur für Verfahren nach dem Tod des Erblassers. Verfahren zu dessen Lebzeiten unterfallen nicht der EuErbVO.
Rz. 8
Die autonome Auslegung des Begriffs der "Entscheidung" ist indes deutlich schwieriger. Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO definiert den Begriff der Entscheidung als jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassene Entscheidung.
Aus dieser Definition ergibt sich zunächst, dass nur Entscheidungen eines "Gerichts" erfasst sind. Die autonome Definition des "Gerichts" in Art. 3 Abs. 2 EuErbVO folgt dabei einer funktionalen Betrachtungsweise, die neben Gerichten im eigentlichen Sinn auch die Tätigkeit sonstiger Behörden erfasst. Maßgeblich für das Vorliegen einer gerichtlichen Funktion ist dabei insbesondere, dass die Behörde – oder auch ein Notar – über erbrechtliche Streitigkeiten zwischen den Parteien kraft eigener Befugnis gegen den Willen einer Partei entscheiden kann, wobei dies unabhängig davon gilt, ob es sich um ein streitiges oder freiwilliges Verfahren handelt. Sofern die Tätigkeit der sonstigen Behörde allein vom übereinstimmenden Willen der Beteiligten abhängt, liegt keine gerichtliche Funktion vor. Die Beurkundungs- und Beglaubigungstätigkeit von Notaren ist daher regelmäßig keine funktionale gerichtliche Tätigkeit, wenn sie einen übereinstimmenden Antrag der Beteiligten voraussetzt.
Rz. 9
Als Entscheidung in diesem Sinne sind daher jedenfalls sämtliche Entscheidungen der streitigen Gerichtsbarkeit anzusehen, die in Rechtskraft erwachsen. Daneben unterfallen jedoch auch Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Anwendungsbereich der EuErbVO und damit dessen Zuständigkeitsregime.
Rz. 10
Die umstrittene Frage, ob auch ein deutscher Erbschein vom Anwendungsbereich der Art. 4 ff. EuErbVO erfasst ist, hat der EuGH in der Sache Oberle bejaht. Der EuGH scheint mittlerweile grundsätzlich davon auszugehen, dass nationale Erbnachweise Entscheidungen i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO sind, wenn diese von einem Gericht nach Art. 3 Abs. 2 EuErbVO erlassen werden. Ob notarielle Erbnachweise auch unter die EuErbVO fallen, hängt folglich davon ab, ob der Notar in diesem Fall funktional als Gericht i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuErbVO anzusehen ist (vgl. Rdn 8). Sofern der Notar einen Erbnachweis jedoch allein aufgrund des übereinstimmenden Antrags aller Beteiligten ohne Prüfung der Erbberechtigung ausstellt, liegt darin keine gerichtliche Tätigkeit und der Erbschein ist keine Entscheidung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO. Ein solcher Erbnachweis kann dann aber eine öffentliche Urkunde nach Art. 3 Abs. 1 lit. i EuErbVO darstellen, die den Regelungen zur Annahme öffentlicher Urkunden nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO unterliegt (vgl. Rdn 116 ff.).
Rz. 11
Auch Testamentsvollstreckerzeugnisse fallen in den Anwendungsbereich der Art. 4 ff. EuErbVO. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des EuGH in der Sache Oberle, wonach die einheitliche Anwendung der Art. 4 ff. EuErbVO auf nationale Erbnachweise verhindern soll, dass Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten in parallelen Verfahren sich inhaltlich widersprechende Erbnachweise ausstellen. Diese Gefahr besteht auch bei Testamentsvollstreckerzeugnissen. Zudem droht auch ein Widerspruch zu einem etwaig ausgestellten Europäischen Nachlasszeugnis (ENZ), da dieses auch die Befugnisse des Testamentsvollstreckers aufführt.
Rz. 12
Nicht erfasst vom Anwendungsbereich der EuErbVO sind indes die besondere amtliche Verwahrung (§ 342 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) und die Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen durch das verwahrende Nachlassgericht nach §§ 342 Abs. 1 Nr. 3, 348 ff. FamFG. Hier liegt keine gerichtliche Tätigk...