Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff
Rz. 13
Das System der Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO ist von dem Bestreben geprägt, in möglichst vielen Fällen einen Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht herzustellen. So knüpft die EuErbVO sowohl das Erbstatut (Art. 21 EuErbVO) als auch die internationale Zuständigkeit nach Art. 4 EuErbVO primär an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes an. Zudem sieht die EuErbVO weitere Mechanismen vor, um im Falle der Rechtswahl des Erblassers ebenfalls einen Gleichlauf von forum und ius herzustellen (vgl. Rdn 33 ff.).
Rz. 14
Die von der EuErbVO vermittelte internationale Zuständigkeit erstreckt sich auf den gesamten Nachlass des Erblassers unabhängig davon, ob sich dieser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates oder eines Drittstaates befindet. Es kommt zu keiner zuständigkeitsrechtlichen Nachlassspaltung. Ausnahmen vom Grundsatz der Nachlasseinheit regelt die EuErbVO in Art. 10 Abs. 2, 12 und 19 EuErbVO: In diesen Fällen beschränkt sich die Zuständigkeit nur auf das im jeweiligen Mitgliedstaat belegene Nachlassvermögen.
Rz. 15
Das Zuständigkeitssystem der EuErbVO ist abschließend. Im Rahmen des Anwendungsbereichs der Verordnung ist damit ein Rückgriff auf nationale Zuständigkeitsvorschriften nicht möglich. Dies gilt auch im Verhältnis zu Drittstaaten.
1. Allgemeine Zuständigkeit Art. 4 EuErbVO
Rz. 16
Die EuErbVO enthält die Grundregeln der internationalen Zuständigkeit in Art. 4 und 10 EuErbVO: Hatte der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, ist dieser Mitgliedstaat für den gesamten Nachlass ausschließlich zuständig, Art. 4 EuErbVO. Diese Zuständigkeitskonzentration soll einen Gleichlauf von forum und ius herstellen. Um diesen Gleichlauf herzustellen, muss der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der EuErbVO einheitlich ausgelegt werden. Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen des Art. 4 EuErbVO gelten daher dieselben Kriterien wie für die Bestimmung des Erbstatuts nach Art. 21 EuErbVO, auf die verwiesen wird.
Eine Ausweichzuständigkeit ähnlich wie Art. 21 Abs. 2 EuErbVO für das anwendbare Recht kennt die EuErbVO hingegen nicht; nur im Falle einer Rechtswahl des Erblassers sind abweichende Vereinbarungen möglich.
2. Subsidiäre Zuständigkeiten und Notzuständigkeit
Rz. 17
Ergibt sich aus der Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles, dass der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hatte, kann sich die internationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts, vorbehaltlich einer Gerichtsstandsvereinbarung, nur aus Art. 10 oder 11 EuErbVO ergeben. Bereits der Wortlaut der Art. 10 und 11 EuErbVO zeigt dabei ein zwingendes Rangverhältnis der Zuständigkeitsgründe auf: Primär ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen der subsidiären Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO vorliegen. Ist dies nicht der Fall, kommt eine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 lit. b EuErbVO in Betracht. Sofern auch diese Voraussetzungen nicht vorliegen, kann eine subsidiäre Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO eröffnet werden. Erst wenn auch diese Voraussetzungen nicht vorliegen, kommt eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO in Betracht.
a) Belegenheit von Nachlassvermögen
Rz. 18
Die subsidiären Zuständigkeiten nach Art. 10 Abs. 1 und Abs. 2 EuErbVO setzen übereinstimmend stets die Belegenheit von Nachlassvermögen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts als sachliche Beziehung des Erbfalls zur EU voraus. Unter dem autonom auszulegenden Begriff des "Nachlassvermögens" sind nur Aktiva des Nachlasses zu verstehen. Hinterlässt der Erblasser nur Schulden, können diese die Belegenheitszuständigkeit nach Art. 10 EuErbVO nicht begründen. Dies zeigt ein Vergleich mit der englischen (assets of the estate) und französischen (biens successoraux) Sprachfassung, die bereits begriff...