Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff
Rz. 130
Der autonome Begriff der Authentizität wird von Erwägungsgrund 62 näher umschrieben. Er umfasst insbesondere die formalen und verfahrensrechtlichen Aspekte der Errichtung der öffentlichen Urkunde, insbesondere Echtheit der Urkunde, verfahrensrechtliche Formerfordernisse, Befugnis der Errichtungsbehörde und Einhaltung des einschlägigen Verfahrens. Zur Authentizität der Urkunde gehört jedoch auch die Richtigkeit der in der Urkunde festgehaltenen tatsächlichen Vorgänge, etwa dass die in der Urkunde bezeichnete Person an dem genannten Tag vor der Behörde die genannte Erklärung abgebeben hat. Zu unterscheiden sind hiervon jedoch die materiell-rechtlichen Folgen dieser beurkundeten Vorgänge, wie etwa die Formwirksamkeit der enthaltenen Erklärungen oder die Wirksamkeit eines Vertragsschlusses. Maßgeblich ist hierbei jeweils das auf diese Fragen anwendbare Recht (Art. 59 Abs. 3 EuErbVO), bei Formfragen also das Formstatut.
Rz. 131
Steht die Authentizität der Urkunde in Frage, sind nach Art. 59 Abs. 2 EuErbVO ausschließlich die Gerichte des Ursprungsmitgliedstaates international für die Überprüfung zuständig. Die Gerichte des annehmenden Mitgliedstaates können die Authentizität der Urkunde nicht inzident oder selbstständig überprüfen. Soweit das formelle Beweisrecht des Ursprungsstaates eine Richtigkeitsvermutung enthält, gilt diese auch im annehmenden Mitgliedstaat. Eine Ausnahme soll indes dann gelten, wenn schon nach dem äußeren Anschein ohne weiteres keine öffentliche Urkunde aus einem anderen Mitgliedstaat vorliegt (plumpe Fälschung oder einer Urkunde von einer fiktiven Errichtungsbehörde).
Rz. 132
Das Verfahren richtet sich nach der lex fori des Ursprungsmitgliedstaates. In Deutschland richtet sich das Verfahren nach § 46 Abs. 2 IntErbRVG nach dem FamFG. Für deutsche Urkunden enthält § 46 Abs. 1 IntErbRVG die maßgeblichen Vorgaben zur örtlichen und sachlichen Zuständigkeit. Das Recht des Ursprungsmitgliedstaates entscheidet auch über die erhobenen Einwände gegen die Authentizität der Urkunde (Art. 59 Abs. 2 Hs. 2 EuErbVO), sodass auch hier ein Gleichlauf von forum und ius besteht.
Rz. 133
Die Einleitung des Verfahrens suspendiert nach Art. 59 Abs. 2 S. 2 EuErbVO die Beweiswirkungen der gesamten Urkunde für die Dauer der Anhängigkeit des Verfahrens zur Überprüfung der Authentizität. Die Suspendierung der Beweiswirkung endet erst mit Beendigung des Verfahrens im Ursprungsmitgliedstaat, in dem die Urkunde für gültig erklärt worden ist. In Deutschland tritt die Beweiswirkung der Urkunde daher erst mit Rechtskraft der Endentscheidung (§ 46 Abs. 3 S. 1 IntErbRVG) wieder ein. Wird die Urkunde im ausländischen Verfahren hingegen für ungültig erklärt, entfaltet sie keine Beweiswirkung mehr. Der Beschluss über die Authentizität der Urkunde wirkt nach § 46 Abs. 3 S. 3 IntErbRVG erga omnes. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass auch der europäische Verordnungsgeber von einer solchen umfassenden Wirkung auszugehen scheint (vgl. Erwägungsgrund 65 S. 3 EuErbVO).
Rz. 134
Die EuErbVO regelt indes nicht die Auswirkung der Suspendierung auf das laufende Verfahren im Annahmemitgliedstaat. Für Verfahren vor deutschen Gerichten sieht § 45 IntErbRVG die Möglichkeit zur Verfahrensaussetzung vor, wenn es für die Entscheidung auf die ausländische Entscheidung zur Authentizität der Urkunde ankommt. Die Vorschrift sieht eine Ermessensentscheidung des Gerichts vor.