Dr. iur. Stephanie Herzog
Rz. 11
a) Der Erbe kann aber dem Gläubiger auch zuvorkommen, indem er freiwillig und ohne an eine Frist gebunden zu sein, ein Inventar erstellt.
Hinweis
Dies sollte – wenn nicht die Frist des § 1994 BGB zuvor abläuft – nicht vor Ablauf von drei Monaten geschehen, damit der Erbe nicht frühzeitig die Einrede des § 2014 BGB verliert.
Rz. 12
Dies bietet zwar dem Gläubiger die Möglichkeit gemäß § 2010 BGB Einsicht in das Inventar zu nehmen und somit zielgerichtet in den Nachlass zu vollstrecken. Der Erbe ist aber ohnehin verpflichtet, den Nachlass zum Zwecke der Zwangsvollstreckung an die Nachlassgläubiger herauszugeben, § 1990 Abs. 1 S. 2 BGB, und auch i.R.v. Nachlassverwaltung bzw. Nachlassinsolvenz würde der Verwalter ein Verzeichnis erstellen und die Vollstreckung in den Nachlass ermöglichen. Ferner ist der Erbe auch ohne diese beiden förmlichen Verfahren i.R.d. §§ 1991 Abs. 1, 1978 Abs. 1, 666, 260 BGB zur Rechenschaft verpflichtet. Der Gläubiger erfährt also ohnehin, welche Gegenstände zum Nachlass gehören.
Ein zielgerichtetes Zurverfügungstellen des Nachlasses ist wohl ohnehin einem ständigen "try and error", das dem Spiel "Schiffe versenken" gleicht (der Gläubiger erlangt einen Titel gegen den Erben und vollstreckt daraus, der Erbe erhebt Vollstreckungsabwehrklage, da es sich um sein Eigenvermögen handelt, der Gläubiger versucht es erneut …), vorzuziehen. Dieses oft als unzumutbare und praxisferne Klagewelle bezeichnete Vorgehen mag verhindert werden, wenn allen erkennbar ist, welche Gegenstände zum Nachlass gehören. Wer freilich taktieren mag, der sollte kein Inventar errichten, bevor die Gläubiger ihn nicht dazu zwingen. Auch dann hat der Erbe die Wahl, ob er ihnen Einblicke gewähren will oder sich der unbeschränkbaren Haftung unterwerfen will.
Hinweis
In der Praxis finden sich Inventare eher selten.
Rz. 13
b) Einen Überblick über die Aktiva und Passiva des ererbten Vermögens kann sich der Erbe auch ohne formelles Inventar verschaffen. Der Vorteil eines Inventars nach §§ 1993 ff. BGB besteht in Folgendem: Gemäß § 2009 BGB wird im Verhältnis zwischen den Erben und den Nachlassgläubigern vermutet, dass weitere Nachlassgegenstände als die im Inventar bezeichneten nicht vorhanden sind, wenn das Inventar formal ordnungsgemäß, rechtzeitig (§ 1994 BGB) und inventartreu (§ 2005 Abs. 1 BGB) erstellt wird. Diese Vermutung ist wichtig, wenn ein Gläubiger in den Nachlass vollstrecken will, wenn der Erbe den Nachlass herauszugeben oder über seine Verwaltung Rechenschaft abzulegen hat oder wenn er nachweisen muss, dass der Nachlass erschöpft ist.
Hinweis
Über § 2009 BGB wird aber nicht vermutet, dass die Gegenstände auch tatsächlich zum Nachlass gehören, dass sie den angegebenen Wert haben und dass (nur) die angegebenen Nachlassverbindlichkeiten bestehen (insofern schadet das Inventar dem Erben also nicht). Sondern es wird nur vermutet, dass andere als die im Inventar bezeichneten Gegenstände nicht zum Nachlass, sondern zum Eigenvermögen des Erben gehören.
Rz. 14
Die Vermutung des § 2009 BGB kann zwar nach § 292 ZPO vom Gläubiger widerlegt werden. Es kehrt aber die Beweislast zugunsten des Erben um: Der Erbe muss nur nachweisen, dass die im Inventar angegebenen Vermögenswerte aufgebraucht sind, und hat somit den Beweis geführt, dass der Nachlass erschöpft ist, wenn er die Einreden der §§ 1973, 1974, 1989, 1990 und 1992 BGB erheben will. Es erleichtert ihm den Nachweis, dass er die ihm bis zu Anordnung einer Nachlassverwaltung oder -insolvenz obliegenden Pflichten aus §§ 1978 und 1991 BGB ordnungsgemäß erfüllt hat, und kann ihn bei der Haftungsfrage des § 1980 BGB, ob er die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens fahrlässig zu spät beantragt hat, entlasten.
Rz. 15
c) Im Inventar sind gemäß § 2001 BGB auch die Nachlassverbindlichkeiten aufzuführen. Das Aufgebotsverfahren kann auch zur Vorbereitung der Inventarerrichtung dienen. Das Aufgebotsverfahren hemmt allerdings eine nach § 1994 Abs. 1 BGB gesetzte Frist nicht. Im Inventar müssen nur die bekannten Nachlassverbindlichkeiten angegeben werden. Insoweit ist es unschädlich (im Falle der Fristsetzung nach § 1994 BGB geboten), zunächst ein Inventar zu errichten, in dem dann nur die zu diesem Zeitpunkt bekannten Verbindlichkeiten angegeben werden. Eine unbeschränkte Haftung nach § 2005 BGB droht ohnehin nur, wenn man Nachlassverbindlichkeiten erfindet, nicht hingegen wenn man unbekannte verschweigt.