Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 31
Zuflüsse aus Erbfall und Schenkung können im Sozialhilferecht des SGB XII sowohl Einkommen als auch Vermögen darstellen. Das ist davon abhängig, ob sie außerhalb des Bedarfszeitraums zufließen oder im Bedarfszeitraum. Was im Bedarfszeitraum zufließt, ist Einkommen. Was vorher zugeflossen ist, ist Vermögen. Einmalige Einkommenszuflüsse können nach § 82 Abs. 7 SGB XII nach Ablauf von sechs Monaten sogar zu Vermögen werden ("Wechsel des Aggregatzustands"). Fraglich ist, ob das für das jugendhilferechtliche Kostenbeitragsrecht auch so sein kann und soll. Das VG Aachen hat ausdrücklich bejaht, dass Erbschaften Einkommen sind, wenn sie im Bedarfszeitraum anfallen.
Rz. 32
Dagegen spricht nach diesseitiger Sicht der Berechnungsmodus des § 93 SGB VIII, wonach maßgeblich das durchschnittliche Monatseinkommen ist, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Ein Wechsel des "Aggregatzustands" von Einkommen in Vermögen passt nicht zusammen mit der Begrifflichkeit eines durchschnittlichen Monatseinkommens. Außerdem kennt das Jugendhilferecht keine mit § 82 Abs. 7 SGB XII vergleichbare Regelung.
Rz. 33
So sah das offensichtlich auch das BVerwG in der vorstehend zitierten Entscheidung, bei der der Zufluss aus Erbfall 2006 im Leistungsbezug erfolgte, also sozialhilferechtlich zunächst Einkommen war, das wegen der Dauertestamentsvollstreckung aber gegenwärtig nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stand. Das BVerwG hat der im SGB XII absolut gängigen Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach der modifizierten Zuflusstheorie keine Diskussion gewidmet, sondern ist ohne weiteres davon ausgegangen, dass es sich bei der Erbschaft im Jugendhilferecht um Vermögen i.S.v. § 90 SGB XII handelt. Es hat dann im Ergebnis dem sozialhilferechtlichen Zeitaspekt, der immer bei der Verwertbarkeit von Vermögen zu prüfen ist, den Vorrang gegeben und eine Inanspruchnahmemöglichkeit aus Erbschaft verneint. Verwertet werden könne nur das Vermögen, durch dessen Verwertung der Notlage abgeholfen und der Bedarf rechtzeitig gedeckt werden kann.
Rz. 34
Dafür, dass man in solchen Fällen eines einmaligen Zuflusses grundsätzlich von Vermögen ausgeht, spricht die historische Weiterentwicklung des Jugendhilferechts, die sich von der engen Verklammerung, die es zwischen dem KJHG (Vorläufer des SGB VIII) und dem BSHG (Vorläufer des SGB XII) gab, gelöst hat. Die Definition des Einkommens im SGB VIII ist heute zwar erkennbar der sozialhilferechtlichen Einkommensdefinition des SGB XII nachgebildet, aber der Gesetzgeber hat sich davon in neuerer Zeit gelöst. Den ursprünglich im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagenen Verweis auf die sozialhilferechtliche Einkommensberechnungsverordnung z.B. hat der Gesetzgeber nicht übernommen, weil er einen eigenständigen jugendhilferechtlichen Einkommensbegriff für das Kinder- und Jugendhilferecht wollte, der nur noch insoweit den Rückgriff auf das SGB XII zulässt, als das SGB VIII keine Sonderregelungen getroffen hat. Der Rückgriff auf den Einkommensbegriff des SGB XII soll heute nur die Lücken in der jugendhilferechtlichen Berechnungsmethode schließen. Sozialhilferechtliche Berechnungsgrundsätze sollen nur zur Anwendung kommen, wenn und soweit sie mit den Besonderheiten des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts in Einklang stehen.
Rz. 35
Was für den Einkommensbegriff und seinen Inhalt gilt, kann für das Vermögen nicht anders sein, so dass hier davon ausgegangen wird, dass Fragen, wie sie sich aus der modifizierten Zuflusstheorie bei Erbfall und Schenkung im Sozialhilferecht ergeben, jedenfalls von der Praxis nicht gestellt werden, sondern solche Zuflüsse als Vermögen behandelt werden. Damit werden viele Fragen, die sich im SGB XII stellen, obsolet.