Rz. 253
Der gegnerische Versicherer wendet oft ein, der Sachverständige habe den Restwert zu niedrig eingeschätzt und es lägen höhere Restwertangebote spezieller Restwertaufkäufer vor.
Rz. 254
Nach der Rechtsprechung des BGH, der die Rechtsprechung seitdem nahezu einhellig folgt, kann der Schädiger den Geschädigten nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, der nur auf einem erst durch den Schädiger eröffneten Sondermarkt, etwa durch Einschaltung spezieller Restwertaufkäufer oder Nutzung einer Internetbörse, zu erzielen wäre (BGH NJW 1992, 903 ff. = zfs 1992, 116 = DAR 1992, 172; VersR 1993, 769 = NZV 1993, 305; NJW 2005, 357 = NZV 2005, 140; OLG Hamm DAR 1992, 431 f.; OLG München DAR 1992, 344; OLG Dresden DAR 2000, 566; LG Koblenz zfs 2005, 17 f.). In einer jüngeren Entscheidung hat der BGH (VersR 2010, 130 = r+s 2010, 36) insoweit konkretisiert, dass eine korrekte Restwertermittlung durch den Sachverständigen im Regelfall als Schätzgrundlage die Ermittlung und konkrete Benennung dreier Restwertangebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt voraussetzt.
Rz. 255
Der Geschädigte darf bei der Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Veräußerung seines beschädigten Fahrzeuges grundsätzlich zu dem Preis vornehmen, den ein von ihm beauftragter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH v. 13.10.2009 – VI ZR 318/08 – VersR 2010, 130; BGH v. 1.6.2010 – VI ZR 316/09 – VersR 2010, 963; BGH v. 15.6.2010 – VI ZR 332/09 – VersR 2010, 1197; 27.9.2016 – VI ZR 673/15 – VersR 2017, 56; BGH v. 25.6.2019 – VI ZR 358/18 – VersR 2019, 1235 = NZV 2020, 84 m. Anm. Huber; OLG Düsseldorf zfs 1993, 338; LG Kleve zfs 1996, 451; OLG Hamm zfs 1997, 371; LG Hildesheim zfs 1998, 462; LG Hannover zfs 1999, 195; LG Köln zfs 1999, 238; LG Wuppertal zfs 1999, 518; AG Flensburg zfs 2001, 210).
Allerdings hat der BGH (v. 25.6.2019 – VI ZR 358/18 – VersR 2019, 1235 = zfs 2019, 562 = NZV 2020, 84 m. Anm. Huber) jüngst eine Ausnahme für Unternehmen angenommen, welche sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen (im entschiedenen Fall Autohaus) befassen. Diesen sei aufgrund subjektbezogener Schadensbetrachtung die Inanspruchnahme des Restwertmarkts im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote zuzumuten.
Das OLG Köln hat sich in seinem Urt. v. 11.5.2004 (22 U 190/03 – VersR 2004, 1145) mit der so genannten BVSK-Richtlinie befasst, die außerordentlich kontrovers diskutiert wurde (Fuchs, DAR 2002, 189; Riedmeyer, DAR 2002, 43; Gebhardt, DAR 2002, 395; Huber, DAR 2002, 337, 385). Maßgeblich für die Restwertbeurteilung ist demnach der "allgemeine Markt", nicht der Sondermarkt der Verwertungsbetriebe und der Restwerthändler, der dem Geschädigten nicht ohne weiteres zugänglich ist. Insbesondere hat das OLG Köln die vom BVSK propagierte Restwertrichtlinie als unvereinbar mit der BGH-Rechtsprechung abgelehnt. In dem vom OLG Köln entschiedenen Fall hatte ein Sachverständiger den Restwert ermittelt. Der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners regulierte den Schaden auf dieser Basis, nachdem der Eigentümer das Fahrzeug zu diesem Preis verkauft hatte. Anschließend klagte der Haftpflichtversicherer gegen den Sachverständigen, weil er den von diesem angegebenen Restwert für zu niedrig hielt. Er beanstandete, dass der Sachverständige bei der Schätzung des Restwerts nicht den überregionalen Markt und die Restwertbörse des Internets berücksichtigt habe.
Der Geschädigte braucht sich nicht auf einen, ihm nicht ohne Weiteres zugänglichen "Sondermarkt" verweisen zu lassen. Bestandteil dieses Sondermarkts sind aber auch die Anbieter der elektronischen Restwertbörsen. Die Kriterien, die für den Geschädigten gelten, finden auch Anwendung auf den vom Geschädigten eingeschalteten Sachverständigen. Dieser hat auf denjenigen Kaufpreis abzustellen, der auf dem allgemeinen Markt für das unfallgeschädigte Fahrzeug zu erzielen ist (BGH VersR 2007, 1145 = zfs 2007, 382 = DAR 2007, 325 m. Anm. Poppe; BGH VersR 2007, 1243 = zfs 2007, 631 = DAR 2007, 634; AG Oldenburg zfs 2004, 512 m. Anm. Diehl).
Das OLG Köln lehnt die Ansicht von Fuchs (DAR 2002, 189) ab, dass die Einbeziehung von Sondermärkten eine kaufmännische Selbstverständlichkeit ist, die für den Geschädigten gleichsam ergebnisneutral ist. Sollten die Richtlinien des BVSK – so das OLG – dahin zu verstehen sein, dass der Sachverständige verpflichtet sei, auch Angebote aus dem Sondermarkt zu berücksichtigen, wäre dies mit der Rechtsprechung des BGH (auf die sich auch die Richtlinien ausdrücklich beziehen) unvereinbar. Für den Sachverständigen sind sie deshalb unverändert rechtlich unverbindlich.
Rz. 256
Auf höhere Ankaufpreise spezieller Restwertaufkäufer braucht er sich in aller Regel nicht verweisen lassen. Er braucht auch keine eigene Marktforschung zu betreiben. Er braucht auch nicht ein höheres Restwertangebot oder Übernahmeangebot des Versicherers abzuwarten (BGH NJW 1993, 1849 = zfs 1993, 229 = DAR 1993, 251...