Rz. 292
Unter Zugrundelegung verschiedener Rechtsgrundlagen versuchen Haftpflichtversicherer zunehmend, den jeweiligen Sachverständigen wegen angeblich fehlerhafter Restwertermittlung in Regress zu nehmen. Dies hat sich inzwischen zu einem regelrechten "Stellvertreterkrieg" ausgeweitet.
Rz. 293
Zwischen den Parteien "Versicherer" und "Sachverständiger" bestehen unbestreitbar keinerlei vertragliche Beziehungen. Jedoch ist es einhellige Rechtsprechung, dass der regulierende Haftpflichtversicherer in den Schutzbereich der werkvertraglichen Pflichten aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten als Kunden des Gutachters und dem Gutachter selbst einbezogen ist (BGH VersR 2001, 1388 f.; OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 861; OLG München r+s 1990, 273; OLG Köln VersR 2004, 1145 f.; LG Stuttgart zfs 1992, 861; LG Mainz zfs 1999, 379; LG Gießen zfs 2001, 496; (BGH VersR 2001, 1388 f.; OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 861; OLG München r+s 1990, 273; OLG Köln VersR 2004, 1145 f.; LG Stuttgart zfs 1992, 861; LG Mainz zfs 1999, 379; LG Gießen zfs 2001, 496; siehe auch Steffen, DAR 1997, 297 ff.; Nickel, zfs 1998, 409 ff.). Es liegt also ein "Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter" vor, der einen Regressanspruch seitens des Versicherers rechtfertigen kann.
Rz. 294
Der Haftpflichtversicherer ist zum einen den Gefahren eines falschen Gutachtens ausgesetzt, weil er sich in Leistungsnähe befindet. Angesichts der zentralen Rolle, die das Gutachten für die Regulierung spielt, muss er sich auf die Ermittlungen des Sachverständigen verlassen können (Diehl, Anmerkung zu LG Gießen, zfs 2001, 496).
Rz. 295
Die Haftung des Gutachters setzt allerdings gem. § 280 Abs. 1 BGB eine Pflichtverletzung sowie ein (gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB gesetzlich vermutetes) Verschulden voraus. Der Sachverständige genügt aber seinen Sorgfaltspflichten, wenn er Angebote einiger seriöser Gebrauchtwagenhändler aus der örtlichen Nähe des Geschädigten eingeholt hat (Steffen, DAR 1997, 297 ff.). Im Gegenteil hat der BGH (BGH VersR 2010, 130 = r+s 2010, 36) konkretisiert, dass eine korrekte Restwertermittlung durch den Sachverständigen im Regelfall als Schätzgrundlage die Ermittlung und konkrete Benennung dreier Restwertangebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt voraussetzt. Dementsprechend hat der mit der Schadensschätzung beauftragte Sachverständige bei der Ermittlung des Restwerts auch nur solche Angebote einzubeziehen (BGH VersR 2009, 413).
Rz. 296
Bei der Ermittlung des Restwertes sind allein die Angebote maßgebend, auf die der Geschädigte bei einer Schadensbehebung in eigener Regie verwiesen werden kann. Der Geschädigte braucht sich nur an dem ihm zugänglichen Markt seiner Umgebung zu orientieren. Er ist nicht verpflichtet, besondere Anstrengungen zur Ermittlung des preisgünstigsten Angebotes zu unternehmen, wie etwa eine Befragung des Internets nach Angeboten von Restwertaufkäufern (BGH zfs 2005, 186 ff.; LG Koblenz zfs 2005, 17 f.).
Rz. 297
Damit steht fest, dass eine Pflicht des Sachverständigen zur Ermittlung eines möglichst hohen erzielbaren Restwertes durch Nutzung von Restwertbörsen im Internet ausdrücklich verneint wird. Ein Interesse des Schädigers bzw. seines Versicherers, einen besonders hohen Restwert ermitteln zu lassen, hat hinter dem Recht des Geschädigten, ausschließlich auf seinen unmittelbar zugänglichen Restwertmarkt zugreifen zu dürfen, zurückzutreten (Diehl, Anmerkung zu AG Homburg/Saar, zfs 2004, 212, 214; Diehl, Anmerkung zu AG Oldenburg, zfs 2004, 512 f.). Letztgenannte Methode der Gewinnung von Preisen durch den Sachverständigen ist unverändert eine mangelfreie Erfüllung des Werkvertrages.
Rz. 298
Regressansprüche bestehen demzufolge also nur dann, wenn der Sachverständige mit seiner Restwertermittlung schuldhaft und nennenswert unter dem Marktniveau der Angebote des örtlichen allgemeinen Kfz-Marktes liegt, also eine erhebliche Fehleinschätzung vorliegt (AG Dorsten zfs 1998, 421; LG Mainz zfs 1999, 379; AG Landshut zfs 1999, 423; AG Homburg/Saar zfs 2004, 212 ff. mit Anmerkung von Diehl).
Rz. 299
Es begründet dagegen keine Fehlerhaftigkeit des Gutachtens, den allein der Versicherungswirtschaft offenstehenden – erst recht nicht den überörtlichen – Sondermarkt nicht berücksichtigt zu haben (Nickel, Der Restwertregress, zfs 1998, 409).
Rz. 300
Für etwaige Fehler des Privatgutachters bei der Restwertermittlung hat jedenfalls der Geschädigte nicht einzustehen. Der Gutachter ist nicht dessen Erfüllungsgehilfe bei der Beachtung der Schadensminderungspflicht (LG Köln zfs 2003, 184). Der Geschädigte darf auf die Richtigkeit des vom Sachverständigen ermittelten Restwerts vertrauen (BGH DAR 1993, 251).