Rz. 316
Tatsächlich entstandene Reparaturkosten sind dem Geschädigten zu erstatten, wenn diese einschließlich etwaiger Wertminderung den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigen.
aa) Integritätsinteresse
Rz. 317
Der hohe Stellenwert des Integritätsinteresses rechtfertigt es, dass der Geschädigte für die Reparatur des ihm vertrauten Fahrzeugs Kosten aufwendet, die einschließlich des etwaigen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert bis zu einer regelmäßig auf 130 % zu bemessenden Opfergrenze reichen (BGH NJW 1992, 302 ff. = zfs 1992, 8 = DAR 1992, 22 ff.; OLG Oldenburg zfs 2000, 339 = DAR 2000, 359). Der Restwert bleibt dabei stets außer Betracht (BGH NJW 1992, 305 ff.; OLG Düsseldorf zfs 2001, 111). Der 30-%ige Aufschlag wird also ausschließlich auf den ungekürzten Wiederbeschaffungswert berechnet.
Rz. 318
Das Integritätsinteresse des Geschädigten erschöpft sich jedoch nicht nur in dem Wunsch auf reine Herstellung der Mobilität mit einem gleichwertigen Pkw. Ihm liegen durchaus wirtschaftliche Gesichtspunkte zugrunde (vgl. BGHZ 115, 364, 371 mit Anmerkung von Lipp, NZV 1992, 70 ff.; BGH VersR 1985, 865, 866). Selbst wenn bei voller Berücksichtigung des Vorteilsausgleichs "neu für alt", insbesondere bei älteren Fahrzeugen, die Reparaturkosten die Kosten der Wiederbeschaffung in aller Regel deutlich übersteigen, ist eine Abrechnung von Reparaturkosten in solchen Fällen nicht generell ausgeschlossen. Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben (vgl. Jordan, VersR 1978, 688, 691), zumeist unbekannt.
Rz. 319
Dass diesen Umständen ein wirtschaftlicher Wert zukommt, zeigt sich auch darin, dass bei dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs aus erster Hand regelmäßig ein höherer Preis gezahlt wird. Hierbei handelt es sich somit keineswegs um immaterielle Erwägungen, wie etwa die Anerkennung einer "eigentlich unsinnigen emotionalen Bindung des Geschädigten an einen technischen Gegenstand" (Freundorfer, VersR 1992, 1332, 1333). Ein derartiges Affektionsinteresse könnte schadensrechtlich keine Anerkennung finden (BGH DAR 2005, 266 ff.).
Rz. 320
Bei der "Integritätsspitze" von 30 % ist aber zu beachten, dass es sich um keine starre Grenze, sondern um einen Richtwert handelt, der bei den Massenfällen der Kraftfahrzeugschäden in der Regel zu einem gerechten Ergebnis führt, der aber je nach den Besonderheiten des Einzelfalles auch einmal über- oder unterschritten werden kann (BGH NJW 1992, 302, 305; Weber, Die 30-%-Grenze bei Kraftfahrzeug-Reparaturkosten, DAR 1991, 12).
Rz. 321
Die 130-%-Grenze gilt aber nur, wenn die Reparatur wirtschaftlich vernünftig ist (BGH NJW 1992, 305 ff. = zfs 1992, 9 = DAR 1992, 25 ff.). Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt vom Geschädigten allerdings nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte (BGHZ 63, 295, 300; BGH VersR 1961, 707, 708; BGH VersR 1976, 732, 734).
bb) Anwendbarkeit der 130-%-Regelung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen
Rz. 322
Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug privat oder gewerblich genutzt wird (BGH NJW 1999, 500 = DAR 1999, 165 = NZV 1999, 159 m. Anm. Völtz; OLG Düsseldorf SP 1997, 194; OLG Düsseldorf DAR 2001, 303; OLG Dresden NZV 2001, 346; LG Mühlhausen DAR 1999, 29; OLG Celle NZV 2010, 249 für einen Lkw-Anhänger). Der dem Geschädigten zugebilligten "Integritätsspitze" liegen nämlich durchweg wirtschaftliche Erwägungen zugrunde. Das hierauf beruhende, schadensrechtlich besonders zu gewichtende Interesse des Geschädigten an einer Reparatur des ihm vertrauten Fahrzeuges besteht grundsätzlich auch bei einem gewerblich eingesetzten Fahrzeug.
Rz. 323
Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls dann, wenn das Fahrzeug von einem überschaubaren Kreis ausgewählter Fahrer benutzt wird, z.B. bei einem Taxiunternehmer. Auch bei der Beschädigung eines gewerblich genutzten Taxis bilden die Wiederbeschaffungskosten daher nicht von vornherein die Obergrenze des Herstellungsaufwandes i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern das Integritätsinteresse kann auch hier den Ersatz von Reparaturkosten im Rahmen der 130-%-Grenze rechtfertigen (OLG Düsseldorf NZA 97, 355; OLG Hamm NZV 2001, 349). Das gilt aber dann nicht, wenn sich der Geschädigte unmittelbar nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug anschafft und das beschädigte Taxi unmittelbar nach dem Unfall veräußert (OLG Hamm NVZ 2001, 349). Nach OLG Celle (NZV 2010, 249) gilt die 130-%-Regel auch bei der Beschädigung eines Lkw-Anhängers.
Rz. 324
Offengelassen hat der BGH diese Frage bislang im Hinblick auf Mietwagen. Mit Rücksicht auf die durch die Vielzahl der Nutzer veranlassten Besonderheiten wird bei ihnen wohl etwas anderes gelten und ein schützenswertes Integritätsinteresse in der Regel zu verneinen sein. Dabei ist zu berücksichtigen, da...