Rz. 432
Beschafft sich der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug, welches mindestens so viel gekostet hat, wie es dem (Brutto-)Wiederbeschaffungswert seines verunfallten Fahrzeugs entspricht, kommt es auf die Frage, ob und in welcher Höhe der Sachverständige in seinem Gutachten hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes Mehrwertsteuer ausgewiesen hat, nicht mehr an. In diesem Fall kann der Geschädigte im Wege der konkreten Schadensabrechnung den vollen im Gutachten festgestellten Brutto-Wiederbeschaffungswert (abzüglich Restwert) ersetzt verlangen (BGH v. 1.3.2005 – VI ZR 91/04 – DAR 2005, 500 mit Anm. Riedmeyer; BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 26/05 – zfs 2006, 149).
Denn wenn der Geschädigte ein völlig gleichartiges und gleichwertiges Fahrzeug differenzbesteuert (oder auch nur von Privat gänzlich ohne Umsatzsteuer, siehe Rdn 445 ff.) zu dem vom Sachverständigen genannten (Brutto-)Wiederbeschaffungswert erwirbt, würde eine Kürzung dieses Betrages um eine "fiktive Mehrwertsteuer" von 19 % im Rahmen der konkreten Schadensabrechnung der originären Funktion des Schadensersatzes widersprechen, die in der Wiederherstellung des früheren Zustandes liegt, und den Geschädigten schlechter stellen, als er vor dem Schadensereignis gestanden hat. Stellt der Geschädigte durch eine konkrete Ersatzbeschaffung eines gleichartigen Fahrzeuges zu dem vom Sachverständigen genannten (Brutto-)Wiederbeschaffungswert wirtschaftlich den Zustand wieder her, der vor dem Unfallereignis bestand, so kann er nach § 249 BGB den tatsächlich hierfür aufgewendeten Betrag unabhängig davon ersetzt verlangen, ob in ihm die Regelumsatzsteuer i.S.d. § 10 UStG, eine Differenzsteuer i.S.d. § 25a UStG oder gar keine Umsatzsteuer enthalten ist.
Rz. 433
Durch die Neuregelung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB wollte der Gesetzgeber – nach der Interpretation des BGH – nichts an der Möglichkeit des Geschädigten ändern, den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag stets und insoweit zu verlangen, als er zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes tatsächlich angefallen ist (vgl. BT-Drucks 14/7752, S. 22). Lediglich bei der fiktiven Schadensabrechnung soll sich der Umfang des Schadensersatzanspruchs mindern, indem die fiktive Umsatzsteuer als zu ersetzender Schaden entfällt.
Rz. 434
Beispiel
Wiederbeschaffungswert lt. Gutachten |
10.000 EUR |
(irrelevant, ob regelbesteuert, differenzbesteuert oder steuerneutral) |
|
Kaufpreis des gleichartigen Ersatzfahrzeugs |
mindestens 10.000 EUR |
(irrelevant, ob regelbesteuert, differenzbesteuert oder von privat) |
|
Zu berücksichtigender Wiederbeschaffungswert (abzgl. Restwert) |
10.000 EUR |
Rz. 435
Hat der Sachverständige festgestellt, dass der Wiederbeschaffungswert keine Umsatzsteuer enthält (steuerneutral), weil vergleichbare Fahrzeuge überwiegend am Privatmarkt angeboten werden, so kann der Geschädigte auch dann, wenn er ein (regelbesteuertes) Neufahrzeug erwirbt und dementsprechend erhebliche Umsatzsteuerbeträge tatsächlich gezahlt hat, lediglich den (steuerneutralen) Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert erstattet verlangen (OLG Düsseldorf r+s 2015, 470). Eine Mehrwertsteuererstattung kommt in diesem Fall nicht in Betracht, weil eine Ersatzbeschaffung hinsichtlich des beschädigten Unfallfahrzeugs keinen Mehrwertsteueraufwand erfordert. Entsprechendes gilt, wenn der Sachverständige einen differenzbesteuerten Wiederbeschaffungswert ermittelt und sich der Geschädigte einen teureren (regelbesteuerten) Neuwagen beschafft. Auch dann erhält der Geschädigte lediglich den Brutto-Wiederbeschaffungswert (einschließlich Differenzsteuer) abzüglich Restwert (BGH VersR 2006, 238 = zfs 2006, 149).
Rz. 436
Eine Verpflichtung des vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten aus dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht, bei der Wiederbeschaffung ein regelbesteuertes – und kein differenzbesteuertes – Fahrzeug zu erwerben, besteht jedenfalls dann nicht, wenn auf dem maßgeblichen Markt vergleichbare Fahrzeuge nur zu 30 % angeboten werden (BGH VersR 2009, 516 = zfs 2009, 326).