Rz. 137
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist nur auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme gerichtet; er begründet daher keine Anfechtbarkeit der Schenkung und vermittelt auch keine wertmäßige Beteiligung am Nachlass, zu dem der verschenkte Gegenstand gar nicht gehört. Als Pflichtteilsergänzung kann der Pflichtteilsberechtigte vielmehr den Betrag verlangen, um den sich sein Pflichtteilsanspruch dadurch erhöht, dass alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen dem Nachlass hinzugerechnet werden.
Rz. 138
Das bedeutet, dass sich auch bei einem negativen Nachlasswert ein Pflichtteilsergänzungsanspruch ergeben kann, wenn sich wenigstens unter Hinzurechnung des Geschenks ein Aktivnachlass ergibt. Wegen der Beschränkbarkeit der Erbenhaftung kann dieser dann aber grundsätzlich nicht gegen den Erben durchgesetzt werden (§ 1990 BGB); es kommt dann aber ein Ergänzungsanspruch nach § 2329 BGB gegen den Beschenkten in Betracht (siehe Rdn 252 ff.). Ergibt sich aber auch durch die Hinzurechnung der Schenkung kein Aktivnachlass, so soll nach herrschender Meinung überhaupt kein Ergänzungsanspruch bestehen, und zwar auch keiner nach § 2329 BGB, da der Pflichtteilsberechtigte dann auch ohne die Schenkung keinen Pflichtteilsanspruch erhalten hätte. Es ist fraglich, ob dem entgegengehalten werden könnte, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch ein vom ordentlichen Pflichtteilsanspruch unabhängiger selbstständiger Anspruch ist, der z.B. auch dann gewährt wird, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe die Erbschaft ausgeschlagen und infolgedessen seinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch verloren hat.
Rz. 139
Das Grundmuster der Berechnung stellt sich wie folgt dar:
(1) |
Feststellung des ordentlichen Pflichtteils aus dem Nachlass; |
(2) |
Bildung des fiktiven Ergänzungsnachlasses durch Hinzurechnung des Wertes des verschenkten Gegenstandes (§ 2325 Abs. 2 BGB; siehe Rdn 94 ff.) zum realen Nachlass, bei der gemischten Schenkung nur des Schenkungsteils und bei mehreren Schenkungen Hinzurechnung aller Schenkungen; |
(3) |
Bildung des Erbteils aufgrund der gesetzlichen Erbquote am fiktiven Ergänzungsnachlass; |
(4) |
Bildung des entsprechenden Gesamtpflichtteils hieraus durch Halbierung des vorstehend ermittelten Erbteils; |
(5) |
Feststellung des Ergänzungsanspruchs durch Subtraktion des ordentlichen Pflichtteils (siehe Schritt 1) vom nach Schritt 4 gebildeten Gesamtpflichtteil. |
Rz. 140
In einer Formel:
Dabei ist: EP die Ergänzungspflicht, N der reale Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls, S die Summe aller Schenkungen und Q der Nenner des gesetzlichen Erbteils des Ergänzungsberechtigten.
Rz. 141
Bei einem überschuldeten Nachlass ist es nicht zulässig, die vereinfachte Berechnung der Pflichtteilsergänzung dadurch vorzunehmen, dass der Schenkungswert einfach mit der Pflichtteilsquote multipliziert wird, da durch den negativen Nachlasswert der Wert der Schenkung u.U. ganz oder teilweise aufgezehrt und der Ergänzung entzogen wird. Hierzu ist in obiger Formel zum (negativen) Nachlasswert nur die Summe der Schenkungen hinzuzurechnen und diese dann durch die verdoppelte Erbquote zu teilen. Ein ordentlicher Pflichtteil ist nicht abzuziehen, da sich aus dem negativen Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls kein ordentlicher Pflichtteil ergeben kann.
Die Formel bei überschuldetem Nachlass lautet dann:
EP = (-N + S) / 2Q
Rz. 142
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist für jeden Pflichtteilsberechtigten gesondert zu berechnen. Dabei sind jedoch alle Schenkungen in die Berechnung einzustellen, die – insbesondere unter Berücksichtigung der Zeitschranke des § 2325 Abs. 3 BGB – ihm gegenüber ergänzungspflichtig sind.
Beispiel
Verwitweter Erblasser hinterlässt zwei Kinder S und T; Erbe ist der Familienfremde F. Der Nachlass beträgt 200.000 EUR. An D erfolgte eine ergänzungspflichtige Schenkung i.H.v. 200.000 EUR.
Ordentlicher Pflichtteilsanspruch von S und T: je ¼, also je 50.000 EUR.
Ergänzungspflichtteil: [(200.000 + 200.000) : 4] – 50.000 = je 50. 000 EUR.
Beide Kinder können daher insgesamt je 100.000 EUR vom Erben F fordern, dem aus dem Nachlass nichts mehr verbleibt. Der Beschenkte D darf demgegenüber seine Schenkung behalten. Ein Ausgleichsanspruch des mit dem Pflichtteil voll belasteten Erben gegen den Beschenkten besteht kraft Gesetzes nicht; es fehlt an einer vergleichbaren Norm, wie etwa § 2318 BGB beim Vermächtnis. Ein verblüffendes Ergebnis.
Rz. 143
Praxishinweis
Es kann sich daher dringend empfehlen, bei größeren Zuwendungen zu vereinbaren, dass der Beschenkte anstelle des Erben den aus der Schenkung resultierenden Pflichtteilsergänzungsanspruch übernimmt und den Erben von der Inanspruchnahme durch den Pflichtteilsberechtigten freistellt.