a) Erbe ist zugleich Beschenkter
Rz. 259
Schuldner des Anspruchs nach § 2329 BGB ist der Beschenkte, nach seinem Tod seine Erben. Ist der Erbe zugleich der Beschenkte, so kann er zunächst nach § 2325 BGB auf Geldzahlung in Anspruch genommen werden und sich insoweit die Beschränkung der Erbenhaftung vorbehalten (§ 780 ZPO). Soweit die Haftung entfällt, kann er nach § 2329 BGB als Beschenkter herangezogen werden, wobei diese Klage dann jedoch grundsätzlich nicht auf Zahlung, sondern Duldung der Zwangsvollstreckung gerichtet ist (siehe Rdn 275). Stellt sich daher in einem Prozess die Notwendigkeit der Klageumstellung heraus, so hat das Gericht nach § 139 ZPO darauf hinzuweisen. Dies ist auch keine unzulässige Klageänderung. Zur Verjährungsunterbrechung bezüglich des Anspruchs nach § 2329 BGB siehe Rdn 290.
Rz. 260
Werden vom Pflichtteilsberechtigten mehrere beschenkte Erben primär nach § 2325 BGB, hilfsweise nach § 2329 BGB in Anspruch genommen, so muss das Gericht den Erben die Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlass nach § 780 ZPO vorbehalten, wenn die Erben die entsprechende Einrede erheben und das Gericht die Entscheidung hierzu offenlässt. Die Haftung nach § 2329 BGB kommt dann nur zum Tragen, wenn der Nachlass zur Deckung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht ausreicht.
b) Mehrere Beschenkte
Rz. 261
Bei mehreren Beschenkten ist für deren Haftung die von § 2329 Abs. 3 BGB vorgegebene Reihenfolge zu beachten, die der Regelung in § 528 Abs. 2 BGB entspricht und vom Erblasser nicht geändert werden kann. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Schenkungen, die in einem zeitlichen Abstand erfolgten, und gleichzeitigen Schenkungen.
aa) Zeitlich aufeinanderfolgende Schenkungen
Rz. 262
Bei zeitlich aufeinander folgenden Schenkungen haftet in erster Linie der zuletzt Beschenkte, der früher Beschenkte nur insoweit, als der später Beschenkte nicht verpflichtet ist (§ 2329 Abs. 3 BGB; Grundsatz der Posteriorität). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich mit zunehmendem Zeitablauf die Bestandskraft der Schenkung vergrößert.
Rz. 263
Maßgeblich für die zeitliche Einordnung der Schenkungen ist dabei deren Vollzugszeitpunkt, bei Grundstücken ist demnach der Tag der Grundbucheintragung des Eigentumswechsels entscheidend. Ist das Schenkungsversprechen zurzeit des Erbfalls noch nicht erfüllt, entscheidet der Zeitpunkt des Erbfalls.
Rz. 264
Praxishinweis
Auch wenn Grundstücksschenkungen am gleichen Tag beurkundet werden, kann sich wegen unterschiedlicher Vollzugszeiten beim Grundbuchamt eine unterschiedliche Haftung nach § 2329 Abs. 3 BGB ergeben.
Rz. 265
Die Vorschrift des § 2329 BGB ist alles andere als leicht verständlich und weist einige Problemstellungen auf, die nachstehend am besten anhand eines Beispiels erläutert werden sollen.
Beispiel
Der Erblasser hat den einzigen Pflichtteilsberechtigten P zum Alleinerben eingesetzt; der Nachlass ist wertlos. Vor dem Erbfall bekamen geschenkt:
▪ |
weniger als ein Jahr vorher 6.000 EUR S 1 (= später Beschenkter) |
▪ |
knapp zwei Jahre vorher 4.000 EUR S 2 (= früher Beschenkter). |
Nach § 2325 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 BGB wird die Schenkung an S 2 um 1/10 abgeschmolzen, beträgt also noch 3.600 EUR.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch beträgt (6.000 EUR + 3.600 EUR) : 2 = 4.800 EUR. Soweit S 1 zur Ergänzung verpflichtet ist, haftet der früher Beschenkte S 2 nicht. Ist S 1 aber nur noch zu 2.000 EUR bereichert, so haftet S 2 in Höhe des Restbetrages von 2.800 EUR.
Rz. 266
Umstritten und klärungsbedürftig ist zunächst, wann der später Beschenkte "nicht mehr verpflichtet" i.S.v. § 2329 BGB ist und daher die Haftung auf den früher Beschenkten übergeht. Nach der Rechtsprechung und ganz h.M. haftet der früher Beschenkte (also S 2) nur bei fehlender rechtlicher Zahlungsverpflichtung des später Beschenkten (also S 1), nicht aber bei dessen bloßer (tatsächlicher) Zahlungsunfähigkeit. Damit trägt das Insolvenzrisiko des später Beschenkten (S 1) allein der Pflichtteilsberechtigte, während der früher Beschenkte (S 2) sein Geschenk vollständig behalten kann. Die fehlende rechtliche Verpflichtung des später Beschenkten könnte sich auch aus der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB bzw. der Abschmelzregelung in § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB ergeben, während etwa der früher beschenkte Ehegatte sich nicht auf diese berufen kann, § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB.
Rz. 267
Des Weiteren ist der Beurteilungszeitpunkt zu klären: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, inwieweit der später Beschenkte (S 1) nicht verpflichtet ist und daher der früher Beschenkte (S 2) für einen Fehlbetrag haftet, ist der der Rechtshängigkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den später Beschenkten (§ 818 Abs. 4 BGB) oder ein früher liegender Zeitpunkt, in dem von dieser Verpflichtung haftungsverschärfend ...