Rz. 173
Der BGH hat im Zusammenhang mit einer Grundstücksschenkung gegen Nießbrauchsvorbehalt eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB abgelehnt (vgl. Rdn 163). Trotz grundbuchamtlichen Vollzugs des Eigentumswechsels an einem Grundstück wird nach Ansicht des BGH der Fristbeginn gehindert, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand im "Wesentlichen" weiternutzt, sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche. Zur Leistung gehöre neben der Aufgabe des Eigentums auch die Aufgabe des Genusses des verschenkten Gegenstandes.
Rz. 174
Im Schrifttum gehen die Ansichten auseinander, wobei der wohl überwiegende Teil der BGH-Rechtsprechung zustimmt oder grundsätzlich mit ihr übereinstimmt. Manche sehen in jeder schenkweisen Übereignung eines Gegenstandes eine Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB. Es komme nicht darauf an, ob sich der Schenker schuldrechtlich oder dinglich, allumfassend oder teilweise die Nutzung vorbehalte. Bei einer Übertragung gegen Nießbrauchsvorbehalt könne der Schenker über den Gegenstand immerhin nicht mehr verfügen, worin manche einen erheblichen Verlust der Rechtsposition sehen. Einige fragen kritisch, was eine solche schenkweise Leistung tatsächlich wert sei und wie sich ergänzungsrechtlich der Umstand auswirke, dass mit sinkender Lebenserwartung des Schenkers der Wert des Objektes in der Hand des Beschenkten steigt. Liegt der grundbuchamtliche Vollzug des Eigentumsübergangs mehr als zehn Jahre zurück, so soll der bloße Substanz- oder Hüllenwert der Immobilie ohne die Nutzungen und zusätzlich der außerhalb dieser Frist bereits erfolgte Wertzuwachs des Schenkungsobjektes durch Verringerung des Wertes des vorbehaltenen dinglichen Nutzungsrechts ergänzungsfrei sein. Dagegen soll aber der in den letzten zehn Jahren erfolgte "Verlust des Nutzungsrechts" ergänzungspflichtig sein. Es wird des Weiteren als unbefriedigend empfunden, dass der BGH mit der Betonung des "Vermögensgenusses" auf den Nutzungswert abstellt, dabei jedoch die Bedeutung des im Schenkungsgegenstand liegenden Substanzwertes verkennt. Das Unbehagen der Kritiker entzündet sich also vor allem an der Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheiten, die durch die wirtschaftliche Betrachtung des BGH entstehen. Denn dadurch wird eine konkrete Abgrenzung, ob ein Genussverzicht im Einzelfall vorliegt, schwierig. Fälle wie die des Quotennießbrauchs werden sogar als praktisch kaum lösbar bezeichnet. Cornelius stützt sich für die Antwort auf die Frage, was ein "wesentlicher" Verzicht ist, auf Schippers, für den ein wesentlicher Verzicht "mehr als ein überwiegender" sei. Cornelius schlägt deshalb vor, dass die Zehn-Jahres-Frist zu laufen beginne, wenn der Veräußerer wertmäßig auf mehr als drei Viertel der Nutzungen verzichtet habe. J. Mayer lehnte einen Fristbeginn sogar schon ab, wenn dem Übergeber mehr als 50 % der Nutzungen verbleiben. Andere meinen, dass nur unwesentliche Rand- oder Nebenutzungen dem Erblasser verbleiben dürfen, wenn der Fristbeginn bejaht werden soll, und betrachten dann bereits 10–20 % der Nutzungen als Hindernis für den Fristbeginn.
Rz. 175
Die Rechtsprechung des BGH stellt die Kautelarpraxis vor erhebliche Schwierigkeiten. Die Ausfüllung und Definition des Begriffs "Genussverzicht" ist dem BGH bislang nicht überzeugend gelungen. Dass er das Nutzungsrecht einseitig über die Verfügungsbefugnis stellt, obwohl beide wichtige und gleichwertige Ausprägungen des Eigentums sind, blieb leider ohne Begründung. Die Verfügungsmacht hat der Schenker auch beim Nießbrauchsvorbehalt fast vollständig verloren. Eine Schenkung erfordert neben einer Ausgliederung des Vermögens (hinsichtlich der Verfügungsmacht ist diese erfolgt) auch eine Bereicherung des Beschenkten. Genau diese Bereicherung erfolgt mit dem Übergang des Eigentums. Zwar fällt die Bereicherung um das Nutzungsrecht vermindert aus, doch gehört dies zur Frage, welchen Wert die Schenkung hatte. Der Schenkungsanteil ist jedoch tatsächlich ausgegliedert. Der Vorschlag von Cornelius leidet darunter, dass er die konturlose Formulierung des BGH ("im Wesentlichen" weitere Nutzung) in einen mathematischen Bruch übersetzt, ohne dass er begründen kann, warum gerade bei drei Viertel des Wertes der Nutzungen die Grenze des Genussverzichts verlaufen soll (warum nicht bei 4/5 oder 5/6?). Dasselbe gilt für Müller-Engels, die die Grenze bei 50 % der Nutzungen sieht, allerdings an anderer Stelle eine Kombinationsbetrachtung für richtig hält. Nach dieser soll zwar ein Vorbehalt der Nutzungen des Vertragsobjektes von 50 % oder mehr den Fristbeginn nicht auslösen, doch hielt er es für möglich, dass auch bei kleineren Nutzungsquoten im Einzelfall keine Genussverzicht vorliegt, nämlich wenn die dadurch gesicherten Einnahmen für den Schenker immer noch wesentliche Einkünfte darstellen. Im Übrigen meinte vormals J. Mayer, dass derjenige, der auf eine wirtsc...