Rz. 102
Andere Gegenstände kommen mit ihrem Wert in Ansatz, den sie zur Zeit des Erbfalls haben. Hatten sie jedoch bei der Schenkung (also bei Schenkungsvollzug) einen geringeren Wert, so ist nach dem insoweit geltenden Niederstwertprinzip nur dieser anzusetzen (§ 2325 Abs. 2 S. 2 BGB). Dabei kommt es auf den Zeitpunkt des rechtlichen Leistungserfolgs an (vgl. auch Rdn 108).
Rz. 103
Aufgrund des Niederstwertprinzips gehen nach der Schenkung eingetretene Wertverluste zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten, während nach der Schenkung entstandene Wertsteigerungen ihm nicht zugutekommen. Dahinter steckt der Gedanke, dass letztlich unklar ist, was mit der Sache geschehen wäre, wenn der Erblasser sie nicht verschenkt hätte. So hätte er die Sache z.B. auch verkaufen können. Dann wäre im Nachlass auch nur der Verkaufserlös wirtschaftlich vorhanden; an einer zwischenzeitlichen Wertsteigerung der verschenkten Sache hätte der Pflichtteilsberechtigte dann auch nicht partizipieren können. Der Pflichtteilsberechtigte soll also nicht verlangen können, so gestellt zu werden, als hätte der Erblasser die für den Pflichtteilsberechtigten im konkreten Fall günstigere Verhaltensweise gewählt.
Rz. 104
In den Protokollen findet sich hierzu Folgendes: Nach der Schenkung eintretende Wertverluste gingen zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten, weil er "nur dadurch geschädigt werde, dass der Wert, welchen der verschenkte Gegenstand z.Z. des Erbfalls habe, z.Z. des Erbfalls nicht mehr vorhanden sei". Wertgewinne vermögen aber den Pflichtteil nicht mehr zu erhöhen, "denn der Pflichtteilsberechtigte könne nur verlangen, dass der Erblasser solche Verfügungen unterlasse, durch welche sein Pflichtteil illusorisch gemacht werde, auf etwaige Erhöhungen des Wertes der verschenkten Sache habe er keinen Anspruch". Das Niederstwertprinzip wird teilweise heftig kritisiert, jedoch lassen sich unter Umständen auftretende Härten bei Bewertungsstichtagsregelungen nicht immer vermeiden; deren uneingeschränkte Beachtung hat auf alle Fälle den Vorteil der Rechtsklarheit für sich.
Rz. 105
Ist eine nicht verbrauchbare Sache im Erbfall untergegangen, so hat sie keinen Wert mehr, mit dem sie nach § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB bewertet werden könnte. Das Schenkungsobjekt kann daher für die Pflichtteilsergänzung nur in Ansatz gebracht werden, wenn die unverbrauchbare Sache bis zum Erbfall noch vorhanden ist, sei es beim Beschenkten oder einem Dritten. Denn auch wenn der Pflichtteilsberechtigte Erbe geworden wäre, würde er an der Sache nicht partizipieren, wenn die untergegangen ist. Unerheblich ist dabei, bei wem das Schenkungsobjekt untergegangen ist und wer dies u.U. verschuldet hat. Jedoch kannaus Billigkeitsgesichtspunkten ein Ersatzanspruch für den Pflichtteilsergänzungsanspruchberücksichtigt werden, während ein Erlös für eine Weiterveräußerung durch den Beschenkten grundsätzlich unerheblich ist. Soweit der Beschenkte für Erhaltungsaufwendungen Belastungen auf die Sache gemacht hat, sind diese bei der Wertbemessung auf den Erbfall zu berücksichtigen.
Rz. 106
Für die Feststellung des maßgeblichen Wertes i.S.d. Niederstwertprinzips ist eine Vergleichsberechnung vorzunehmen. Festzustellen ist dabei
1. |
der Wert zur Zeit des Erbfalls |
2. |
der Wert im Zeitpunkt des Schenkungsvollzugs, jedoch inflationsbereinigt. |
Maßgebend ist dann der niedrigere Wert.
Der für den Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung ermittelte Wert ist dabei nach den Grundsätzen über die Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds auf den Tag des Erbfalls umzurechnen. Dies geschieht entsprechend der vom BGH zum Zugewinnausgleich entwickelten Formel:
Rz. 107
Fraglich ist, welche der verschiedenen Indexreihen anzusetzen sind. Nach der Rechtsprechung des BGH kann von dem im Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland jährlich veröffentlichten Preisindex für die Lebenshaltungskosten in langjähriger Übersicht ausgegangen werden. Dabei wurde zumindest in der Rechtsprechung zur Berechnung des Zugewinnausgleichs früher ganz überwiegend der Lebenshaltungskostenindex der Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushalte mit mittlerem Einkommen zugrunde gelegt. Zu beachten ist, dass heute regelmäßig der Verbraucherpreisindex für alle privaten Haushalte in Deutschland zur Umrechnung angewandt wird, derzeit auf der Basis 2020 = 100; die Umstellung des Basisjahrs erfolgt regelmäßig alle fünf Jahre.
Rz. 108
Bei Grundstücken ist für den Schenkungsvollzug der Tag der Grundbucheintragung maßgebend, bei Zuwendung von Gesellschaftsbeteiligungen deren Übergang. Ist ein Schenkungsversprechen im Erbfall noch nicht vollzogen, so wendet der BGH auch das Niederstwertprinzip an, obgleich in § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB als Vergleichszeitpunkte nur der Erbfall oder die Ausführung der Schenkung, nicht aber die bloße Abgabe des Schenkungsversprechens vorgesehen sind. Daher kann hier nur der Wert im Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich sein, bis zu dem der Erb...