Rz. 21
Demgegenüber können Schenkungen aufgrund einer sittlichen Pflicht auch einen erheblichen Wert haben; insbesondere fallen hierunter Unterhaltszahlungen für nahe Verwandte und solche mit der Motivation der zusätzlichen Alterssicherung. U.U. kann auch die Zuwendung eines Grundstücks oder eines Nießbrauchs aus Dankbarkeit für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder für unentgeltliche Pflege und Versorgung einer sittlichen Pflicht entsprechen, insbesondere wenn der die Pflegeleistungen Erbringende schwerwiegende persönliche Opfer in Kauf nimmt und deswegen in eine Notlage gerät. Eine Schenkung erfolgt aber nicht schon dann aus sittlicher Pflicht, wenn sie im Rahmen des sittlich noch zu Rechtfertigenden bleibt, sondern nur, wenn sie in der Weise sittlich geboten war, dass ein Unterlassen der Zuwendung dem Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Bei der dabei vorzunehmenden Wertung ist abzuwägen, in welchem Maße die Belange von Schenker und Beschenktem es unabweisbar erscheinen lassen, die gesetzlich vorgeschriebene Mindestbeteiligung des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass einzuschränken. Denn zu der sittlichen Pflicht kann gerade gehören, den Pflichtteil des Pflichtteilsberechtigten nicht völlig auszuhöhlen. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen nicht verallgemeinerungsfähig sind. Zudem ist bei älteren Entscheidungen zu berücksichtigen, dass sich die sozialen Verhältnisse, insbesondere hinsichtlich Unterhalt und Altersversorgung, geändert haben. Zudem betonte der BGH im Jahre 1984, dass er seine frühere Rechtsprechung weiterentwickelt hat.
Rz. 22
Kriterien für die nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmende Abwägung können sein: die persönlichen Beziehungen der Beteiligten zueinander, ihre Lebensstellung, die Vermögens- und Lebensverhältnisse, Quantität und Qualität der Zuwendung und deren Wert zum Restnachlass sowie die zu belohnenden Leistungen des Beschenkten, die nicht bereits über die Ausgleichung nach §§ 2316, 2057a BGB erfasst werden. Unerheblich ist, ob bei der Schenkung ein entsprechender Hinweis gemacht wurde, wenn sich der Schenker nur bewusst war, dass eine Anstands- oder sittliche Pflicht für die Schenkung bestand. Jedoch ist dieses subjektive Element auf alle Fälle zu fordern, bezieht die Zuwendung doch daraus ihre innere Rechtfertigung.
Rz. 23
Nur im Übrigen kommt es auf die objektiven Umstände an. Umstritten ist, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen abzustellen ist. Teilweise wird auf den der Zuwendung abgestellt, um dem Erblasser Sicherheit für seine Nachlassplanung zu geben. Dabei wird auch vorgetragen, dass es nicht um subjektive Überzeugungen der Beteiligten gehe, sondern um den objektiven Tatbestand im Zeipunkt der Schenkung. Der Schutz des Pflichtteilsberechtigten gebiete für andere ein Abstellen auf den Erbfall; man denke etwa daran, dass dann der Bedachte zur Sicherung seiner Altersversorgung der Zuwendung nicht mehr bedarf, weil er anderweitig abgesichert ist.
Beispiel
Zum Ausgleich für die erbrachten Pflegeleistungen wandte der Ehemann seiner Ehefrau einen Betrag von 200.000 DM zu. Das OLG Naumburg betonte, eine sittliche Pflicht dazu, Pflegeleistungen und sonstige Betreuungen durch eine Schenkung auszugleichen, könne nur dann angenommen werden, wenn der Empfänger schwere persönliche Opfer erbracht habe und dadurch in eine Notlage geraten sei. Dafür gebe es im zu beurteilenden Fall keine Anhaltspunkte. Die Ehefrau war zu Lebzeiten des Ehemannes unterhaltsberechtigt und bezog zudem eigenes Einkommen und später eine eigene Rente. Nach dem Tod des Ehemannes wurde sie seine Alleinerbin und ist als Inhaberin einer eigenen Rente und Bezieherin einer Witwenrente ausreichend versorgt.
Rz. 24
Begreift man aber den Pflichtteilsergänzungsanspruch als Mittel, um eine missbräuchliche Umgehung der Rechtsposition eines Pflichtteilsberechtigten zu vermeiden (siehe Rdn 1), so sollte nicht erst im Nachhinein entschieden werden, ob eine Schenkung nun sittlich gerechtfertigt war oder nicht. Entsprach die Schenkung bei ihrem Vollzug einer sittlichen Pflicht oder Anstandspflicht, so ist sie im Erbfall nicht als ergänzungspflichtig zu behandeln. Es lag kein Missbrauch gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten vor. Im Übrigen ist die Bewertung, ob eine Schenkung auf solchen Pflichten beruhte, schon schwierig genug. Es erscheint deshalb als angebracht, nicht auch noch die zusätzliche Bewertung zu verlangen, ob der beschenkte Erbe vielleicht im Nachhinein nicht mehr als "schutzwürdig" anzusehen ist.
Rz. 25
Auch eine belohnende Schenkung kann eine Anstands- oder Pflichtschenkung sein, muss dies aber nicht. Diese Zuwendungen werden immer häufiger Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung. Sie sind von den sog. Vorleistungsfällen oftmals nur...