Rz. 184
Wie sich Rückerwerbsrechte auf den Fristbeginn auswirken, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Wird ein freies, tatbestandsmäßig nicht begrenztes Rückerwerbsrecht vereinbart, so wird der Fristbeginn in der Literatur teilweise verneint, da es an der erforderlichen Ausgliederung aus dem Vermögen des Schenkers fehle. Die Gegenmeinung verneint eine Schutzbedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten: Nur wenn die Zuwendung nach Ausübung des Rückerwerbrechts wieder in den Nachlass falle, unterliege sie der Pflichtteilsergänzung, da der BGH als maßgeblich für den Fristbeginn den tatsächlichen Verzicht auf die Nutzungsmöglichkeit ansehe ("Genussverzicht").
Rz. 185
Für die Gegenmeinung lässt sich anführen, dass das bestehende, uneingeschränkte und freie Rückerwerbsrecht im Nachlass keinen unmittelbaren Vermögenswert darstellt, sondern erst gem. § 2313 Abs. 1 S. 3 BGB bei seiner Ausübung zu einer Ausgleichung führt. Für die Gegenmeinung spricht ferner die Überlegung, dass der Schenkungsgegenstand nicht nur rechtlich, sondern gerade auch wirtschaftlich aus dem Vermögen des Erblassers ausgegliedert ist. Übt der Schenker das Rückforderungsrecht aus, gehört der Schenkungsgegenstand – oder der Rückübertragungsanspruch – zum Nachlass und unterliegt dem ordentlichen Pflichtteil. Übt der Schenker das Rückforderungsrecht nicht aus, so ist der Schenkungsgegenstand rechtlich und wirtschaftlich ausgegliedert, der Schenker kann ihn nicht nutzen, d.h. weder selbst benutzen, vermieten, verpfänden, beleihen oder gar verkaufen. Es spricht viel für eine Leistung des verschenkten Gegenstandes i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB. Dass der Beschenkte sich nicht sicher sein kann, ob er das Geschenk wieder herausgeben muss (man denke allerdings an die Gefahr der Sittenwidrigkeit unbefristeter freier Rückforderungsrechte, die über die gesetzliche Zehn-Jahres-Frist des § 529 Abs. 1 BGB hinausgehen) oder dass der Beschenkte vor einem Verkauf die Zustimmung des Schenkers einholen muss, kann man zwar als Einschränkung des Beschenkten ansehen; aber solange der Schenker diese Rechte nicht ausübt, bleibt es bei der wirtschaftlichen Ausgliederung des Geschenks. Alle Beteiligten können sich auf die Ausgliederung des Geschenks aus dem Vermögen des Erblassers einstellen, so dass der Zweck der Zehn-Jahres-Frist, d.h. insbesondere auch der Schutz des Erben vor überraschenden Pflichtteilsergänzungsansprüchen, vollständig zum Tragen kommt.
Rz. 186
Auch hinsichtlich der Vereinbarung von Rückerwerbsrechten, die auf bestimmte Rücktrittsgründe beschränkt sind, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden, ob die Frist aus § 2325 Abs. 3 BGB ausgelöst wird oder nicht. Das OLG Düsseldorf hat den Beginn der Zehn-Jahres-Frist abgelehnt, wenn es in einem Schenkungsvertrag heißt: "Der Veräußerer ist berechtigt, die unentgeltliche, kosten- und steuerfreie Rückübereignung des Grundbesitzes zu verlangen, wenn … der Erwerber gegen die hiermit übernommene Verpflichtung verstößt, den übertragenden Grundbesitz zu Lebzeiten des Veräußerers nicht ohne dessen Zustimmung zu veräußern oder zu belasten." Das OLG Düsseldorf ging in diesem Fall davon aus, dass der Schenker noch nicht auf den Genuss des Grundsstücks verzichtet habe. Dass eine solche Auffassung nicht nur im Schrifftum kritisch gesehen wird, zeigt das Urteil des LG München I, das für den Fall eines Rückforderungsrechts bei Veräußerung des Grundstücks ohne Zustimmung des Schenkers eine Leistung gem. § 2325 Abs. 3 BGB annahm, sobald die Änderung des Eigentümers im Grundbuch eingetragen war. Das wohl überwiegende Schrifttum sieht den Fristbeginn nicht gehemmt, wenn der Schenker den Rückerwerbsfall nicht willkürlich herbeiführen kann.
Rz. 187
Stellt man – wie der BGH – auf die rechtliche und wirtschaftliche Ausgliederung des Geschenks ab, so sprechen die oben genannten Argumente (siehe Rdn 185) auch hier dafür, von einer Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB auszugehen und die Zehn-Jahres-Frist mit der Schenkung beginnen zu lassen.
Rz. 188
Zu unterscheiden hiervon sind die Kombinationsfälle, in denen ein Nutzungsvorbehalt mit freien oder eingeschränkten Rückforderungsrechten verbunden wird. So wird der Fristbeginn bei der Kombination von freiem Widerrufsrecht und Nießbrauchsvorbehalt von einigen Stimmen in der Literatur verneint, weil damit hinsichtlich Nutzungs- wie Substanzwert eine wirtschaftliche Ausgliederung zu verneinen ist. Auch das OLG Düsseldorf nimmt eine daran orientierte Abwägung vor: Es stellt zum einen darauf ab, dass gegen den erforderlichen Genussverzicht spreche, dass sich der Übergeber das Wohnungsrecht an den schon bisher von ihm bewohnten Räumen vorbehalten habe (Erdgeschoss und ein Raum im Obergeschoss). Zusätzlich betont es, dass der Schenker sich den wesentlichen Einfluss auf die weitere Verwendung des Hausgrundstücks vorbehalten habe, da er bei Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände die Rückübertragung verlangen könne, insbesondere bei Belastung oder Verä...