Rz. 69
Ob die Abfindung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht als unentgeltliche Zuwendung anzusehen ist oder gar nicht der Pflichtteilsergänzung unterliegt, war und ist bisher äußerst umstritten. Das Meinungsspektrum reichte von der generellen Annahme der Unentgeltlichkeit der Abfindungsleistung bis hin zur Möglichkeit einer vollständigen Entgeltlichkeit. Der BGH hat auf die Auffassung der bis 2008 geltenden Rechtsprechung verwiesen, wonach die Abfindung für einen Erbverzicht als unentgeltliche Zuwendung eingeordnet worden sei. Da jedoch der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nach § 2310 S. 2 BGB zu einer Erhöhung des Pflichtteils führe, kompensiere diese Erhöhung die Abfindung, solange die Abfindung in dem Zeitpunkt, in dem sie erbracht werde, sich der Höhe nach im Rahmen der Erberwartung des Verzichtenden halte. Der Pflichtteilsberechtigte soll neben der Erhöhung der Pflichtteilsquote nicht auch noch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch erhalten. Der Ergänzungsanspruch komme nur dann in Betracht, soweit die Leistung des Erblassers an den Verzichtenden über eine angemessene Abfindung für den Erbverzicht hinausgehe. Der BGH hat deshalb in seinem Fall nicht entschieden, ob die Leistung nun unentgeltlich (ergänzungsfähig) oder entgeltlich (nicht ergänzungsfähig) ist. Eine Pflichtteilsergänzung soll nur in Betracht kommen, wenn die Zuwendung über eine angemessene Abfindung hinausgeht, wobei der BGH auf den Wert des Erbteils abstellt, nicht auf den Wert des dem Verzichtenden zustehenden Pflichtteils. Der Pflichtteilsberechtigte soll sich aber auf die bei gemischten Schenkungen anerkannte Beweiserleichterung berufen dürfen, wonach eine Schenkung zu vermuten ist, soweit zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht.
Rz. 70
Bei einem reinen Pflichtteilsverzicht könnte die Abfindung eventuell eine Ausstattung sein (§ 1624 BGB), die dann nur als Übermaßausstattung der Pflichtteilsergänzung unterliegt, ansonsten aber pflichtteilsrechtlich über § 2316 BGB beim ordentlichen Pflichtteil erfasst wird. Im Normalfall der Abfindung handelt es sich bei ihr um eine unentgeltliche Leistung, da der Erblasser die Abfindung freiwillig leistet und der Verzichtende weiterhin grundsätzlich erbberechtigt bleibt (unabhängig davon, dass in vielen Fällen der Verzicht ohne Abfindung nicht erklärt würde und der Verzichtende testamentarisch häufig nicht mehr wesentlich bedacht wird). Für die ergänzungsrechtlichen Folgen des Pflichtteilsverzichts gegen Abfindung sollte man richtigerweise auf den Normzweck des § 2325 BGB abstellen. Der Schutz der anderen Pflichtteilsberechtigten vor Aushöhlung ihres Pflichtteilsanspruchs führt zur Kontrollüberlegung, wie die Rechtslage wäre, wenn der Erblasser keine Abfindung für den Pflichtteilsverzicht gezahlt hätte. Dann wäre der Abfindungsbetrag im Nachlass und unterläge dem Pflichtteilsanspruch der anderen Pflichtteilsberechtigten. Deshalb erscheint es gerecht, wenn die gezahlte Abfindung zur Pflichtteilsergänzung herangezogen wird, wie dies übrigens auch bei einer Zuwendung unter Pflichtteilsanrechnung der Fall ist.
Rz. 71
Beim Erbverzicht gegen Abfindung ist noch interressant, wie die Berechnung der Pflichtteilsergänzung erfolgen soll, wobei die Schwierigkeiten an der vom BGH zitierten Entscheidung des OLG Hamm deutlich werden (der BGH musste die Frage nicht beantworten, da er die Abfindung als angemessen qualifizierte):
Beispiel
Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge hatte der Erblasser 1991 seinem Sohn A ein Hausgrundstück im Wert von 310.000 EUR übereignet; im Gegenzug verzichtete A auf sein Erb- und Pflichtteilsrecht gegenüber dem Vater. Im Erbfall im Jahre 1994 waren im Nachlass noch 45.000 EUR vorhanden. Gesetzlicher Alleinerbe war der andere Sohn B, der aber seinerseits 1994 vom Erblasser eine lebzeitige Schenkung von 45.000 EUR erhalten hatte.
Das OLG Hamm bejahte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch des B gegen den Beschenkten A nach § 2325 BGB und berechnete diesen wie folgt:
½ Wert Hausgrundstück |
155.000 EUR |
+ Nachlass |
45.000 EUR |
+ Schenkung an B |
45.000 EUR |
Summe |
245.000 EUR |
davon die Hälfte (Pflichtteilsquote) |
122.500 EUR |
Hierauf soll sich aber der pflichtteilsberechtigte Alleinerbe B das tatsächlich durch ihn aus dem Nachlass Erhaltene anrechnen lassen, also insgesamt 90.000 EUR. Damit verbleibt ihm ein Ergänzungsanspruch von 32.500 EUR.
Den Ansatz des zu Lebzeiten als Abfindung für den Erbverzicht zugewendeten Hausgrundstücks mit nur der Hälfte begründet das Gericht wie folgt: Durch den Erbverzicht des A habe sich die Pflichtteilsquote von B von ¼ auf ½ erhöht. Durch diese Quotenerhöhung und den hälftigen Ansatz des Grundbesitzwertes erhalte B genau das, was er als Ergänzung des Pflichtteils ohne den Erbverzicht erhalten hätte. Die vom Gesetzgeber in § 2310 S. 2 BGB vorgesehene Anhebung der Quote schließe einen Ergänzungsanspruch insoweit aus, als dadurch die V...