I. Grundsatz
Rz. 240
§ 2306 BGB schützt den pflichtteilsberechtigten Erben gegen übermäßige Beschwerungen, so dass ihm wenigstens sein ordentlicher Pflichtteil verbleibt. Dem gleichen Ziel dient § 2319 BGB bei der Erbauseinandersetzung, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe nach der Teilung die Befriedigung eines anderen Pflichtteilsberechtigten so weit verweigern darf, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt. Da sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch in erster Linie gegen den Erben richtet (§ 2325 BGB), muss das Gesetz auch dem pflichtteilsberechtigten Erben einen Schutz gewähren. Daher räumt § 2328 BGB dem selbst pflichtteilsberechtigten Erben ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber Ergänzungsansprüchen anderer Pflichtteilsberechtigter ein: Es geht soweit, dass ihm der eigene Pflichtteil, einschließlich einer ihm selbst gebührenden Pflichtteilsergänzung, verbleibt. Das gilt allerdings nicht gegenüber fiktiven Pflichtteilsergänzungsansprüchen des Unterhaltsberechtigten gem. § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB, d.h. in diesem Fall sollen sich pflichtteilsberechtigte Erben nicht auf § 2328 BGB berufen dürfen. Denn § 2328 BGB sei nur auf das Konkurrenzverhältnis der Pflichtteilsberechtigten beschränkt und erfasse nicht die Ansprüche von Nachlassgläubigern.
Rz. 241
Das Leistungsverweigerungsrecht gem. § 2328 BGB bewirkt sogar eine Bevorzugung des pflichtteilsberechtigten Erben gegenüber den anderen Pflichtteilsberechtigten und wird daher kritisiert. Denn er erhält den Pflichtteil einschließlich seiner Ergänzung vorneweg aus dem Nachlass und muss seinen Ergänzungsanspruch nicht gegen den Beschenkten durchsetzen. Das soll auch im Nachlassinsolvenzverfahren gelten. Vielmehr werden die anderen Ergänzungsberechtigten auf die Inanspruchnahme des Beschenkten mit dem Risiko des Entreicherungseinwands verwiesen (§ 2329 BGB), sofern der Restnachlass zu deren Befriedigung nicht genügt.
Beispiel
Witwer W hinterlässt im Nachlass 40.000 EUR und hat seinen Sohn S zum Alleinerben berufen, die einzige andere pflichtteilsberechtigte Tochter T wurde enterbt. Schenkung an D i.H.v. 80.000 EUR.
Ordentlicher Pflichtteil = je 10.000 EUR; Ergänzungspflichtteil = je 20.000 EUR, Gesamtpflichtteil = je 30.000 EUR. Sohn S muss zwar an T den ordentlichen Pflichtteilsanspruch von 10.000 EUR zahlen. Den Ergänzungsanspruch kann er aber nach § 2328 BGB abwehren, weil ihm 30.000 EUR verbleiben müssen, und zwar auch dann, wenn T beim Beschenkten nach § 2329 BGB wegen des Einwands der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) nichts erhält.
II. Voraussetzungen für die Einrede
Rz. 242
Voraussetzung für die Einrede ist, dass ein Pflichtteilsergänzungsanspruch verlangt wird; die Geltendmachung des ordentlichen Pflichtteils genügt nicht, hier schützt § 2319 BGB. Die Ergänzung muss weiter gegenüber einem Erben verlangt werden, der pflichtteilsberechtigt ist; gemeint ist hier die abstrakte Pflichtteilsberechtigung. Unerheblich ist, ob der Ergänzungspflichtige Allein- oder Miterbe ist. Allerdings muss der Beschenkte auch tatsächlich pflichtteilsberechtigt sein. Pflichtteilsberechtigt ist, wer einen Pflichtteil fordern kann, also einen Pflichtteilsanspruch hat. Der Pflichtteilsanspruch ist zwar vererblich und übertragbar, § 2317 S. 2 BGB, entsteht aber erst mit dem Erbfall, § 2317 S. 1 BGB. Verstirbt ein potentiell Pflichtteilsberechtigter vor dem Erbfall, wird kein Pflichtteilsanspruch übertragen, da dieser in diesem Zeitpunkt noch nicht entstanden ist, somit noch nicht existiert. Der Erbe des potentiell Pflichtteilsberechtigten kann deshalb später nicht die Einrede des § 2328 BGB aufgrund des geerbten Pflichtteilsrechts erheben. Dies lässt sich auch mit einer Parallele zu § 2319 BGB und zu §§ 2303, 2310, 2313 BGB begründen, bei denen ebenfalls klar ist, dass der maßgebliche Moment für die Bestimmung der Pflichtteilsberechtigung nicht die vorherige Schenkung ist, sondern der den Pflichtteilsanspruch erst auslösende Erbfall.
Rz. 243
Ungeklärt ist, wie sich ein Pflichtteilsverzicht des Erben auf das Leistungsverweigerungsrecht des § 2328 BGB auswirkt. Tanck ist der Ansicht, dass ein Pflichtteilsverzicht regelmäßig zum Verlust des Leistungsverweigerungsrechts führe, hält es jedoch für möglich, dass der Verzicht eingeschränkt und unter dem Vorbehalt des Leistungsverweigerungsrechts erklärt werden könne. Auch nach J. Mayer schließt der ...