Rz. 88
Grundsätzlich unterliegen Anteile an Kapitalgesellschaften keiner Sondererbfolge. Diese Anteile fallen zunächst ohne Besonderheiten nach §§ 1922 ff. BGB in den Nachlass. Sie sind damit bereits für den ordentlichen Pflichtteil zu berücksichtigen. Selbst wenn in der Satzung der Kapitalgesellschaft eine qualifizierte Nachfolgeklausel, kombiniert mit einem Einziehungs- oder Übernahmerecht, vorgesehen ist, handelt es sich dabei um ein erst nach dem Erbfall anzusiedelndes Problem. Die Anteile an der Kapitalgesellschaft sind dann in den Nachlass geflossen und werden dort entsprechend berücksichtigt. Die Frage der Abfindung für die Einziehung oder Übernahme ist dann erst anschließend gesellschaftsrechtlich zu lösen. Selbst die abfindungslose Einziehung kann etwa bei der GmbH von der Vertragsfreiheit gedeckt sein. Raum für eine Pflichtteilsergänzung verbleibt deshalb nur, wenn die Anteile an Kapitalgesellschaften schon vor dem Erbfall übertragen werden. Wird dabei keine entsprechende Gegenleistung vereinbart, handelt es sich um eine ergänzungspflichtige Schenkung nach § 2325 BGB. Dies gilt wohl auch, wenn bei der Aufnahme neuer Gesellschafter die Einlageverpflichtung erlassen oder von einem Mitgesellschafter übernommen wird.
Rz. 89
Fraglich ist die pflichtteilsrechtliche Behandlung der im Schenkungsteuerrecht umstrittenen und in § 7 Abs. 8 ErbStG behandelten Frage der Einordnung einer "disquotalen Einlage" in die Kapitalrücklage der Gesellschaft. Leistet ein Gesellschafter ohne Kapitalerhöhung in die Kapitalrücklage oder bei Kapitalerhöhung mehr als es seiner Beteiligungsquote entspräche, so erhöht sich damit der Wert der Gesellschaft insgesamt, also auch die Anteile der anderen Mitgesellschafter. Die Einlage in das Kapital der Gesellschaft stellt, auch wenn sie disquotal erfolgt, keine Schenkung zugunsten der Gesellschaft dar, da Einlagen immer Leistungen aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses sind. Zugunsten der Mitgesellschafter kann es sich möglicherweise aber dann um eine Schenkung handeln, wenn der Gesellschafter die disquotale Einlage erbringt, weil er den Mitgesellschaftern keine Leistung abverlangen will. Haben die Mitgesellschafter hingegen eine anderweitige Ausgleichsleistung erbracht, fehlt es an der Unentgeltlichkeit. Am subjektiven Element der Schenkung kann es wiederum fehlen, wenn es dem leistenden Gesellschafter bei der disquotalen Einlage lediglich um den Schutz seiner Gesellschaft durch Stärkung der Kapitalbasis geht. Die Schwierigkeiten, diese Motive in der Praxis festzustellen, liegen auf der Hand, doch dürfen die Anforderungen mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Pflichtteilsanspruchs nicht überspannt werden. Ein mehr oder weniger lapidarer Hinweis auf den mit der disquotalen Einlage verfolgten Schutz der Gesellschaft genügt nicht, um bereits deshalb eine pflichtteilsergänzungsrechtliche Schenkung abzlehnen. Die Überlegungen zur disquotalen Einlage können entsprechend angewandt werden, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft zunächst ein Darlehen ausreicht und anschließend auf dieses Darlehen verzichtet. Keine Schenkung dürfte bei unentgeltlich erbrachten Diensten bzw. unentgeltlichen Nutzungsüberlassungen zugunsten der Gesellschaft vorliegen.
Rz. 90
Im Schrifttum wird ferner die Frage diskutiert, ob verdeckte Gewinnausschüttungen zivilrechtlich als Schenkung qualifiziert werden können und folglich Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen. Als Beispiel nennt etwa Schindler die Anstellung von nahen Angehörigen zu überhöhten Konditionen, die der alleinige Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH vornimmt. Schindler erblickt hierin eine mittelbare gemischte Schenkung des Gesellschafters und bejaht Pflichtteilsergänzungsansprüche.