1. Gläubiger
Rz. 6
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch steht entsprechend seiner Schutzfunktion den Pflichtteilsberechtigten zu, also den nach § 2303 BGB abstrakt pflichtteilsberechtigten Personen (Abkömmlingen, Ehegatten, Lebenspartnern und Eltern), sofern deren Recht nicht durch § 2309 BGB oder in anderer Weise (Pflichtteilsentziehung) ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang ist kurz mit Blick auf die Gläubiger darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts seit dem 1.10.2017 die Begründung einer neuen Lebenspartnerschaft nicht mehr erlaubt ist, Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes vom 20.7.2017. Da der Pflichtteilsergänzungsanspruch vom Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs unabhängig ist, besteht er auch für den Pflichtteilsberechtigten, der zum (Mit- oder Allein-)Erben berufen ist, allerdings hier nach Maßgabe und mit der Anrechnung seines Erbteils gemäß der Vorschrift des § 2326 BGB. Auch der Pflichtteilsberechtigte, der die Erbschaft ausgeschlagen hat, kann Gläubiger eines Ergänzungsanspruchs sein, selbst wenn kein Fall des §§ 2306 Abs. 1 BGB, 1371 Abs. 3 BGB vorliegt, er also nach den allgemeinen Grundsätzen durch die Ausschlagung einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch verliert. Nach dem BGH ergebe sich das aus der Überlegung, dass der Erblasser anderenfalls das Pflichtteilsrecht dadurch umgehen könnte, dass er sein Vermögen durch Schenkung unter Lebenden weggibt und eine letztwillige Verfügung, die zum Pflichtteilsanspruch führen würde, unterlässt. So wie der pflichtteilsberechtigte Erbe trotz Ausschlagung der Erbschaft den Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB behalte, so soll er auch den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht verlieren.
Beispiel
S hat die Erbschaft nach seiner Mutter ausgeschlagen, weil sie überschuldet war. Später erfährt er, dass seine Schwester T drei Jahre vor dem Erbfall eine sehr große Schenkung von der Erblasserin erhalten hatte. Hat er durch die Ausschlagung auch seinen Ergänzungsanspruch verloren? – Nein, da dieser vom ordentlichen Pflichtteil insoweit unabhängig ist. S steht der Pflichtteilsergänzungsanspruch aber nur zu, soweit der Wert des Hinterlassenen (§ 2326 S. 2 BGB) hinter der Summe aus dem ordentlichen Pflichtteil und dem Ergänzungspflichtteil zurückbleibt. § 2326 S. 2 BGB gilt auch im Fall der Ausschlagung der Erbschaft. S muss sich also das anrechnen lassen, was er aus dem aktiven Nachlass über den Pflichtteil hinaus mehr erhalten hätte, wenn er die Erbschaft nicht ausgeschlagen hätte.
Rz. 7
Mit Urt. v. 23.5.2012 hat der IV. Senat des BGH seine weitgehend abgelehnte Theorie der Doppelberechtigung aufgegeben. Damit steht ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht nur denjenigen zu, die im Zeitpunkt der Vornahme der Schenkung schon pflichtteilsberechtigt waren, sondern allen im Zeitpunkt des Erbfalls Pflichtteilsberechtigten. Eine andere Auslegung wird weder vom Wortlaut noch von der Entstehungsgeschichte des § 2325 BGB gedeckt. Ein Erfordernis der Doppelberechtigung widerspräche zudem dem Sinn und Zweck des Pflichtteilsergänzungsanspruchs, der eine Verkürzung des Pflichtteilsanspruchs durch Einbeziehung lebzeitiger Schenkungen verhindern soll. Grundgedanke des Pflichtteilsrechts ist die Mindestteilhabe naher Angehöriger am Vermögen des Erblassers. Für die Pflichtteilsergänzung ist es deshalb unerheblich, ob der im Erbfall Pflichtteilsberechtigte schon im Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt war oder nicht. Dem kann auch kein fehlender Vertrauensschutz entgegengehalten werden. Denn subjektive Elemente wie die Kenntnis und Eingewöhnung des Pflichtteilsberechtigten in die Vermögensverhältnisse des Erblassers sind gerade keine Voraussetzungen des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Schließlich würde eine unterschiedliche Behandlung von Kindern, die vor und nach der pflichtteilsergänzungspflichtigen Schenkung geboren sind, zu einem ungerechtfertigten Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führen. Fraglich und bislang nicht vom BGH entschieden ist, ob unabhängig vom Zeitpunkt der Vornahme der Schenkung der Pflichtteilsergänzungsanspruch allen im Zeitpunkt des Erbfalls Pflichtteilsberechtigten und damit auch Ehegatten zusteht, die erst nach den Schenkungen des Erblassers diesen geheiratet haben. Obwohl der BGH dies nur für Kinder des Erblassers entschieden hat, vertreten einige, dass dies nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 2325 BGB wohl auch auf nach der Schenkung hinzugetretene Ehegatten zu beziehen sei.
Beispiel
Kurz bevor der Erblasser zum dritten Mal heiratet, schenkt er seinen beiden Söhnen aus erster Ehe seine Klinik. Nach seinem Tod macht die dritte Ehefrau deswegen Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend. Nach den Grundsätzen der geänderten BGH-Rechtsprechung, die zum Pflichtteilsergänzungsanspruch eines Abkömmlings ergangen ist, wäre die Geltendmachung zutreffend, weil die Pflichtteilsberec...