1. Erbeinsetzung des Pflichtteilsberechtigten
Rz. 200
§ 2326 BGB ist unabhängig davon anwendbar, ob die Erbschaft auf gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge beruht. Ist der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe, so hindert dies die Anwendung des § 2326 BGB nicht, jedoch richtet sich dann der Ergänzungsanspruch notwendigerweise gegen den Beschenkten (§ 2329 Abs. 1 S. 2 BGB). In Betracht kommt dies bei im Vergleich zum Restnachlass sehr großen Schenkungen oder wenn der Nachlass überschuldet ist.
a) Hinterlassener Erbteil erreicht nicht die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Rz. 201
Wird dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen, der die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils nicht erreicht, so steht ihm neben dem Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB) zur Aufstockung seines Pflichtteilsanspruchs am ordentlichen Nachlass in voller Höhe ein Pflichtteilsergänzungsanspruch am fiktiven Nachlass zu (§ 2325 Abs. 1 BGB). Zur Frage, ob unter "Hälfte des gesetzlichen Erbteils" die Erbquote oder der Wert des Hinterlassenen zu verstehen ist, wird auf Rdn 204 verwiesen.
b) Hinterlassener Erbteil erreicht die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Rz. 202
Erreicht der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, entspricht dies dem ordentlichen Pflichtteil. Jedoch steht dem pflichtteilsberechtigten Erben der volle Pflichtteilsergänzungsanspruch zu (§ 2326 S. 1 BGB).
c) Hinterlassener Erbteil übersteigt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Rz. 203
Wird dem Pflichtteilsberechtigten mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils hinterlassen, so wird zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung der Ergänzungsanspruch um den darüber hinausgehenden Teil der Hinterlassenschaft gekürzt (§ 2326 S. 2 BGB). Die Kürzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich aus der rechtlichen Selbstständigkeit von ordentlichem Pflichtteil und Ergänzungsanspruch. Daher besteht der Pflichtteilsergänzungsanspruch nur insoweit, als der hinterlassene Erbteil hinter dem Gesamtpflichtteil (ordentlicher Pflichtteil plus Ergänzungspflichtteil) zurückbleibt. In einer Formel lässt sich dies wie folgt ausdrücken:
Dabei ist: EP der Pflichtteilsergänzungsanspruch, N der Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls, S die Summe aller Schenkungen, E der Wert des hinterlassenen Erbteils und Q der Nenner des gesetzlichen Erbteils des Ergänzungsberechtigten.
Beispiel
Der Nachlass beträgt 18.000 EUR. Ergänzungspflichtige Schenkung an Dritte erfolgten i.H.v. 30.000 EUR. Einziger Pflichtteilsberechtigter ist der Sohn S. Erben sind der Fremde F zu ⅓ und S zu ⅔.
Pflichtteil S: 9.000 EUR, Pflichtteilsergänzungsanspruch (ungekürzt) 15.000 EUR. Da aber der Erbteil bereits den ordentlichen Pflichtteil um 3.000 EUR übersteigt, beträgt der Pflichtteilsergänzungsanspruch letztlich 12.000 EUR.
d) Anwendung der Werttheorie?
Rz. 204
Strittig ist, ob unter dem Begriff "Hälfte des gesetzlichen Erbteils" die reine Erbquote i.S.d. §§ 2303, 1924 ff. BGB zu verstehen ist oder ob zur Bemessung des Vergleichsmaßstabs die Grundsätze der Werttheorie, insbesondere bei Ausgleichungs- und Anrechnungstatbeständen, zu berücksichtigen sind. Für Letzteres spricht nicht nur der Wortlaut des § 2326 BGB ("Wert"), sondern die dadurch intendierte Komplementierungsfunktion. So muss dem Pflichtteilsberechtigten von der Pflichtteilsergänzung abgezogen werden, was er über den erhöhten Ausgleichserbteil erhält. Im Ergebnis muss im Rahmen von § 2326 BGB das dem Erben tatsächlich Hinterlassene mit dem verglichen werden, was der pflichtteilsberechtigte Erbe als Gesamtpflichtteil – bestehend aus Pflichtteil und Ergänzungspflichtteil – erhalten würde. Sofern das Hinterlassene den Gesamtpflichtteil nicht erreicht, kann der pflichtteilsberechtigte Erbe die Differenz verlangen.
e) Behandlung von Beschränkungen
Rz. 205
Nach h.M. können Beschränkungen und Beschwerungen des zugewandten Erbteils vom Wert d...