1. Reines Eigengeschenk ohne Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten
Rz. 227
Besteht keine Pflicht zur Anrechnung und Ausgleichung (§§ 2315 f. BGB), ist für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB folgende Berechnung vorzunehmen: Sämtliche Eigengeschenke und auch sonstige Schenkungen, die ergänzungspflichtig sind, sind dem Nachlass hinzuzurechnen, und zwar inflationsbereinigt (siehe Rdn 106 f.) und mit den sich aus § 2325 Abs. 2 BGB ergebenden Wertansätzen. So ist der Ergänzungspflichtteil zu ermitteln und hiervon (i.d.R. aber nicht vom Gesamtpflichtteil) das Eigengeschenk abzuziehen. Die Formel lautet:
Dabei ist: EP der Ergänzungspflichtteil, N der reale Nachlass, S die Summe der Schenkungen (einschließlich der an den Pflichtteilsberechtigten), Q der Nenner der gesetzlichen Erbquote des Pflichtteilsberechtigten, a das Eigengeschenk des Ergänzungsberechtigen.
Rz. 228
Ist der Nachlass nicht negativ, so kann auch eine vereinfachte Berechnung erfolgen, die sich an die zu § 2325 BGB entwickelte "Faustformel" anlehnt: Man berechnet hier nur den Ergänzungspflichtteil (aus der Summe aller ergänzungspflichtigen Schenkungen, einschließlich dem Eigengeschenk des Pflichtteilsberechtigten) und zieht hiervon den Wert des Eigengeschenks ab.
Beispiel
Der Nachlass beträgt 240.000 EUR. Erbin ist die Witwe W aus Gütertrennungsehe. Der einzige sonstige pflichtteilsberechtigte Sohn S erhält 6.000 EUR als Schenkung. Eine weiter zu berücksichtigende Schenkung von 30.000 EUR erhält D. Der ordentliche Pflichtteil des S beträgt 60.000 EUR, der Pflichtteilsergänzungsanspruch infolge des Eigengeschenks ist 3.000 EUR (36.000 EUR : 4 – 6.000 EUR).
Rz. 229
Ist das Eigengeschenk größer als der Ergänzungspflichtteil, so muss der Pflichtteilsberechtigte nichts in den Nachlass zurückerstatten, hat jedoch auch keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch mehr. Eine Anrechnung auf den ordentlichen Pflichtteil erfolgt nicht, jedoch kann bei unzureichendem Nachlass der Beschenkte wegen seines Eigengeschenks von anderen Pflichtteilsberechtigten nach § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB in Anspruch genommen werden.
Rz. 230
Wenn mehrere Pflichtteilsberechtigte, von denen jeder ein Geschenk erhalten hat, Ergänzungsansprüche geltend machen, so ist für jeden getrennt die Berechnung seines Anspruchs durchzuführen. Dabei sind allerdings zunächst alle ergänzungspflichtigen Schenkungen dem Nachlass hinzuzurechnen und anschließend ist für jeden getrennt sein Eigengeschenk auf die Ergänzung anzurechnen.
2. Anrechnung der "anrechnungspflichtigen" Zuwendungen (§ 2327 Abs. 1 S. 2 BGB)
Rz. 231
Hat der Erblasser nach § 2315 BGB ein Geschenk für anrechnungspflichtig erklärt, so muss sich der Zuwendungsempfänger die Zuwendung auf den Gesamtbetrag von ordentlichem Pflichtteil und Ergänzung anrechnen lassen (§ 2327 Abs. 1 S. 2 BGB). Dem Berechtigten soll aus diesem Gesamtbetrag lediglich noch ein um den Wert der anzurechnenden Schenkung verminderter Pflichtteil zustehen. Denn er hat mit dem anzurechnenden Wert der Schenkung ja bereits eine Vorausleistung auf seinen Pflichtteilsanspruch erhalten. Jedoch regelt das Gesetz nicht, wie diese Anrechnung zu erfolgen hat. Rechtsprechung zu dieser Frage scheint zu fehlen. In der Literatur besteht im Ansatz Übereinstimmung insoweit, dass keine Doppelanrechnung erfolgen darf. Umstritten ist jedoch, ob das Eigengeschenk vom ordentlichen Pflichtteil oder dem Ergänzungsanspruch abzuziehen ist. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sich der Pflichtteilsberechtigte wegen des ordentlichen Pflichtteils nur an den Nachlass halten kann, beim Ergänzungsanspruch aber subsidiär ein Anspruch nach § 2329 BGB besteht.
Rz. 232
In der Literatur werden vor allem vier verschiedene Berechnungsmethoden vertreten, die jedoch regelmäßig zum gleichen Ergebnis führen dürften, weshalb nachfolgend nur zwei skizziert werden:
Rz. 233
(1) Beck geht in seinen Überlegungen, die ursprünglich von Dieckmann stammen, zunächst vom Grundfall des § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB aus, wonach sich der Ergänzungspflichtteil aus der Differenz zwischen dem nach § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB errechneten Gesamtpflichtteil (abzüglich des Eigengeschenks) und dem nach §§ 2303, 2311 BGB ermittelten ordentlichen Pflichtteil ergibt. Im Fall einer Anrechnung nach § 2315 BGB ändert sich für ihn nichts an der Errechnung des Gesamtpflichtteils nach § 2327 Abs. 1 BGB, doch hiervon zieht er nunmehr den jetzt nach § 2315 BGB verkürzten ordentlichen Pf...