Rz. 235
Zitat
BGB § 253 Abs. 2; ZPO § 287 Abs. 1
1. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.
2. Diesen Grundsätzen wird die sogenannte "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes nicht gerecht.
a) Der Fall
Rz. 236
Der Kläger nahm die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Rz. 237
Im Dezember 2012 verunglückte der Kläger bei einem Verkehrsunfall, als er sich als Unfallhelfer auf dem Seitenstreifen einer Autobahn befand und von einem ins Schleudern geratenen Fahrzeug erfasst wurde. Für die Folgen des Unfalls waren der Beklagte zu 1 als Fahrer, die Beklagte zu 2 als Halterin und die Beklagte zu 3 als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw dem Grunde nach voll einstandspflichtig. Der Kläger erlitt bei dem Unfall erhebliche Verletzungen, unter anderem eine erstgradig offene Unterschenkelfraktur rechts, einen knöchernen Kollateralbandausriss am Wadenbein links, eine minimale intracerebrale Gehirnblutung frontoparietal rechts sowie eine Ruptur der Fibulotalarbänder des oberen Sprunggelenks. Im Zeitraum zwischen dem Unfallereignis und Februar 2015 wurde der Kläger 13-mal stationär in Krankenhäusern behandelt, in denen er insgesamt über 500 Tage verbrachte. Es wurden mehrere Revisionsoperationen und Materialentfernungen durchgeführt, bis schließlich aufgrund eines persistierenden Infekts im November 2014 der rechte Unterschenkel amputiert und der Kläger mit einer Endoprothese versorgt wurde. Der Kläger ist in Folge des Verkehrsunfalls zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert.
Rz. 238
Das LG hat dem Kläger Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 EUR nebst Zinsen zuerkannt. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass es dem Kläger ein Schmerzensgeld von insgesamt 200.000 EUR nebst Zinsen zugesprochen hat. Mit ihrer insoweit vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrten die Beklagten hinsichtlich des Schmerzensgeldes die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 239
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2021, 127 veröffentlicht ist, hat das im "Handbuch Schmerzensgeld" (Schwintowski u.a., 2013) entwickelte und in seinem Urt. v. 18.10.2018 (OLG Frankfurt a.M., NJW 2019, 442) ausgeführte Prinzip einer sogenannten taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes angewandt, allerdings modifiziert hinsichtlich der einzelnen Beträge.
Rz. 240
Diese Erwägungen hielten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist zwar grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat. Auch auf der Grundlage dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ließ das Berufungsurteil jedoch Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten erkennen.
Rz. 241
Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers.
Rz. 242
Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt (BGH, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154, juris Rn 15).
Rz. 243
Diesen Grundsätzen ...