Rz. 57
Zitat
BGB §§ 823 Abs. 1, 839 Abs. 1 S. 1; GG Art. 34 S. 1
1. Die zur Badeaufsicht in einem Schwimmbad eingesetzten Personen sind verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken darauf zu überprüfen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Standort so zu wählen, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht und auch in das Wasser hineingeblickt werden kann (Anschluss an BGH, Urteile vom 2.10.1979 – VI ZR 106/78, NJW 1980, 392, 393 und vom 21.3.2000 – VI ZR 158/99, NJW 2000, 1946 f.). In Notfällen ist für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen.
2. Wer eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht, andere vor Gefahren für Leben und Gesundheit zu bewahren, grob vernachlässigt hat, muss die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen. Dies gilt auch im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Verpflichtung zur Überwachung eines Schwimmbadbetriebs (Bestätigung von BGH, Urt. v. 13.3.1962 – VI ZR 142/61, NJW 1962, 959, 960 und Fortführung von Senat, Urt. v. 11.5.2017 – III ZR 92/16, NJW 2017, 2108 Rn 22 ff., vorgesehen für BGHZ sowie BGH, Urt. v. 10.11.1970 – VI ZR 83/69, NJW 1971, 241, 243).
a) Der Fall
Rz. 58
Die Klägerin machte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach einem Badeunfall geltend.
Rz. 59
Die beklagte Verbandsgemeinde (Beklagte zu 3) betrieb einen künstlich angelegten, jedoch naturnah gestalteten Badesee als öffentliche Einrichtung. § 10 Abs. 1 der Bade- und Benutzungsordnung bestimmt, dass die Benutzung der Anlage auf eigene Gefahr und Verantwortung erfolge. Bei Unfällen trete eine Haftung nur ein, wenn dem Badepersonal Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werde.
Rz. 60
Das Hauptbecken des Schwimmbads beinhaltete einen etwa neun Meter breiten und 16 Meter langen Schwimmerbereich, in dem die Wassertiefe mehrere Meter beträgt. An dessen westlicher Seite befand sich ein Sprungfelsen mit einem umgebenden Sprungbereich. Dieser war von dem übrigen Schwimmareal mittels orangener Bojen abgegrenzt, deren Durchmesser etwa 15 cm betrug. Die Bojen waren zum Unfallzeitpunkt jeweils einzeln an einer auf dem Beckengrund befindlichen Verankerung in einem Abstand von 2,5 bis 3 m mit Hilfe von 6 bis 8 mm starken, flexiblen Seilen befestigt und nicht miteinander verbunden.
Rz. 61
Am 9.7.2010 besuchte die damals zwölfjährige Klägerin das Naturschwimmbad. Beim Baden verfing sie sich aus ungeklärten Umständen mit einem Arm in der Befestigungsschnur einer Boje, die hierdurch zumindest teilweise unter die Wasseroberfläche gezogen wurde. Die Badeaufsicht am Unfalltag oblag der vormaligen Beklagten zu 1 und dem vormaligen Beklagten zu 2 (im Folgenden Beklagte zu 1 und Beklagter zu 2), gegen die die Klägerin ihre Ansprüche nicht mehr weiterverfolgte. Als die Beklagte zu 1, die sich auf einem Steg im Bereich des Sprungfelsens aufhielt, die abgesenkte Boje bemerkt hatte, sprach sie oder ihr Kollege zunächst zwei in der Nähe befindliche Mädchen hierauf an. In der Vergangenheit war es wiederholt vorgekommen, dass Kinder und Jugendliche einzelne Bojen an den Befestigungsseilen unter Wasser gezogen oder verknotet hatten. Da die Mädchen erklärten, nicht an der Boje gespielt zu haben, bat die Beklagte zu 1 einen ihr bekannten, damals 13- oder 14-jährigen Jungen, nach der Boje zu schauen. Dieser unternahm einen oder zwei Tauchgänge und bemerkte "etwas Glitschiges". Nachdem er eine Klärung der Situation nicht hatte herbeiführen können, holte der Beklagte zu 2 zunächst seine Schwimmbrille im Gerätehaus, begab sich sodann ebenfalls in das Wasser, überprüfte die Boje und fand die leblose Klägerin unter Wasser vor. Er befreite sie aus dem Befestigungsseil und verbrachte sie an Land, wo sie reanimiert wurde. Aufgrund des Sauerstoffentzugs erlitt die Klägerin massive, irreparable Hirnschädigungen. Sie ist infolgedessen schwerstbehindert und wird zeitlebens pflegebedürftig bleiben. Sie wurde über Monate hinweg stationär und ambulant behandelt und lebt aufgrund ihrer Behinderungen nunmehr in einem Pflegeheim.
Rz. 62
Die Klägerin behauptete, durch rechtzeitiges und adäquates Verhalten der Beklagten zu 1 und 2, denen wesentliche Qualifikationen für die von ihnen ausgeübte Aufsichtsfunktion gefehlt hätten, hätten die eingetretenen Gesundheitsschädigungen vermieden werden können. Bei einer angemessenen Beobachtung der Wasseroberfläche hätten Bewegungen der Boje und deren Absinken innerhalb von ein bis zwei Minuten auffallen müssen. Rettungsmaßnahmen hätten dann innerhalb von einer Minute durchgeführt werden können. Insgesamt hätte eine sachgerechte Rettung daher nicht mehr als drei Minuten in Anspruch genommen. Das nicht pflichtgemäße Verhalten der Beklagten zu 1 und 2 nach dem Erkennen des Absinkens der Boje habe zu einer zeitlichen Verzögerung der Rettung von mindeste...