Rz. 1
BGH, Urt. v. 19.4.2016 – VI ZR 506/14, juris
Zitat
§ 256 Abs. 1 ZPO
Der Kläger ist nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen lediglich einen Schadensteil in diesem Sinne dar.
I. Der Fall
Rz. 2
Der Kläger nahm die Beklagte wegen einer bei seiner nicht ausreichend aufgeklärten Mutter in der 34. Schwangerschaftswoche rechtswidrig vorgenommenen sectio, die bei ihm zu einer Schwerstbehinderung geführt hat, auf Schmerzensgeld und Feststellung in Anspruch.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat durch Teil-Grund- und Teil-Endurteil entschieden, dass der auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Klageantrag dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Insoweit hat es die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes an das Landgericht zurückverwiesen. Es hat ferner festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht bezifferbaren oder in der Fortentwicklung befindlichen sowie zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm durch die rechtswidrige Kaiserschnittentbindung entstanden sind oder entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Im Übrigen hat es wegen des weitergehenden Feststellungsantrags die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Rz. 4
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Feststellungsbegehren, soweit das Berufungsgericht ihm nicht bereits entsprochen hat, weiter.
II. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 5
Das Berufungsgericht hatte zur Begründung seiner Entscheidung – soweit hier erheblich – im Wesentlichen ausgeführt, es sei klarzustellen, dass nur solche materiellen Schäden umfasst seien, die zur Zeit der Klageerhebung nicht bezifferbar gewesen seien oder sich noch in der Fortentwicklung befunden hätten. Dass im Fall des Klägers zukünftige oder in der Fortentwicklung befindliche Schäden möglich seien, liege angesichts der erlittenen Hirnschädigung auf der Hand. Mit Blick auf Schäden, die bereits bei Klageerhebung bezifferbar gewesen seien und sich nicht in der Fortentwicklung befunden hätten, fehle es dagegen an dem notwendigen Feststellungsinteresse. Insoweit sei der Feststellungsantrag des Klägers wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig.
Rz. 6
Das Berufungsurteil hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hatte ein rechtliches Interesse (§ 256 Abs. 1 ZPO) des Klägers an der weitergehenden Feststellung hinsichtlich des bei Klageerhebung bereits bezifferbaren Schadensteils zu Unrecht verneint.
Rz. 7
Es ist anerkannt, dass der Kläger grundsätzlich nicht gehalten ist, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann. Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dann, wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren kann (st. Rspr., BGH, Urt. v. 4.12.1986 – III ZR 205/85, NVwZ 1987, 733 m.w.N.; v. 21.2.1991 – III ZR 204/89, VersR 1991, 788 f. m.w.N.; Senatsurt. v. 8.7.2003 – VI ZR 304/02, NJW 2003, 2827 unter II 1 m.w.N.).
Rz. 8
So lag es hier. Das Berufungsgericht hatte einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 280, 278, § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1, § 249 BGB wegen der am 21.10.2002 rechtswidrig durchgeführten Kaiserschnittentbindung bejaht, nach Klageerhebung eingetretene Schäden und Zukunftsschäden für möglich gehalten und insoweit der Feststellungsklage stattgegeben. Dann aber durfte es hinsichtlich des etwaig vor Klageerhebung entstandenen (Teil-)Schadens die Feststellungsklage nicht mangels Feststellungsinteresses des Klägers abweisen.
Rz. 9
Dem stand nicht entgegen, dass einzelne Schadenspositionen bei Klageerhebung bereits bezifferbar und die diesen zugrunde liegenden Sachverhalte bereits abgeschlossen gewesen sein mochten. Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die – aus welchem Grund auch immer – nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründu...