Rz. 85
BGH, Urt. v. 20.1.2004 – VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334
Zitat
§ 847 Abs. 1 BGB
Zur Frage der Zulässigkeit einer Teilklage im Schmerzensgeldprozess
I. Der Fall
Rz. 86
Der Kläger nahm den Beklagten wegen der Folgen einer tätlichen Auseinandersetzung auf Zahlung materiellen Schadensersatzes und eines Teilbetrages des ihm zustehenden Schmerzensgeldes in Anspruch. Er begehrte außerdem die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, materiellen Zukunftsschaden zu ersetzen.
Rz. 87
Das Landgericht hatte dem Kläger Schadensersatz in Höhe von 4.803,20 EUR zugesprochen und festgestellt, dass der Beklagte 80 % des materiellen Zukunftsschadens zu ersetzen habe. Zur Begründung hat es ausgeführt, angesichts der vorsätzlichen Tat und der gravierenden Dauerfolgen sei bei einer Haftung des Beklagten in vollem Umfang ein einheitlich zu bemessendes Schmerzensgeld von 5.000 EUR angemessen, deshalb seien unter Berücksichtigung des klägerischen Mitverschuldens von 20 % 4.000 EUR zu zahlen. Da der Kläger ausdrücklich eine Teilklage erhoben habe, müsse derzeit nicht entschieden werden, wie hoch das insgesamt zu bezahlende Schmerzensgeld sei.
Rz. 88
Die auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer 1.000 EUR Schmerzensgeld gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung des Beklagten, mit der dieser die Unzulässigkeit der Teilklage gerügt hat, hat das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich der Schmerzensgeldforderung in vollem Umfang abgewiesen.
Dagegen wandte sich der Kläger mit der zugelassenen Revision.
II. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 89
Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Teilschmerzensgeld trotz rechtlicher Hinweise durch das Gericht nicht vorgetragen habe. Auf Teilschmerzensgeld könne nur geklagt werden, wenn sich die künftige Entwicklung noch nicht überschauen lasse, deswegen das insgesamt angemessene Schmerzensgeld noch nicht endgültig beurteilt werden könne und sich deshalb das Gericht außer Stande sehe, den Betrag in voller Höhe zu ermitteln. Nur in solchen Ausnahmefällen müsse dem Verletzten, um ihm eine Entschädigung für zukünftige Schäden nicht abzuschneiden, für den bisher überschaubaren Zeitraum ein Teilschmerzensgeld zugesprochen und die Geltendmachung einer weiteren Entschädigung für die Zukunft vorbehalten werden. Das mache der Kläger jedoch nicht geltend, sondern glaube, ein Teilschmerzensgeld nur deshalb verlangen zu können, weil es sich um eine teilbare Geldforderung handle. Das berechtige den Geschädigten jedoch nicht, ein Teilschmerzensgeld einzuklagen. Der einheitliche Schmerzensgeldanspruch lasse sich – von dem Ausnahmefall ungewisser Zukunftsschäden abgesehen – nicht in zwei oder mehr Teile "zerlegen". Für sich bereits abzeichnende Verletzungsfolgen sei die angemessene Höhe des Schmerzensgeldes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter Einbeziehung sämtlicher schmerzensgeldrelevanter Faktoren zu ermitteln, die durch das entsprechend festgesetzte Schmerzensgeld dann auch abgegolten seien.
Dagegen wandte sich die Revision mit Erfolg.
Rz. 90
Zutreffend war der Ansatz des Berufungsgerichts, dass es der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. Großer Senat BGHZ 18, 149; Senatsurt. v. 6.12.1960 – VI ZR 73/60, VersR 1961, 164, 165 und v. 20.3.2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876). Dabei steht die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen stets an der Spitze. Denn Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden bilden das ausschlaggebende Moment für den angerichteten immateriellen Schaden. Im Übrigen lässt sich ein Rangverhältnis der zu berücksichtigenden Umstände nicht allgemein aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die vorzunehmende Ausmessung der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten (vgl. BGHZ 18, 149, 157 ff.). Soweit die Revision darauf hinwies, dass der Begriff der Einheitlichkeit sich daneben auf die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes als Ausgleich und Genugtuung für die erlittenen Verletzungen bezieht, führt dies zu keiner anderen Beurteilung, sondern bedeutet nur, dass der Anspruch weder in einen Betrag auf angemessenen Ausgleich und einen weiteren Betrag zur Genugtuung, noch in Teilbeträge zum Ausgleich bestimmter Verletzungen aufgespalten werden kann (vgl. Senatsurt. v. 6.12.1960 – VI ZR 73/60, a.a.O.).
Rz. 91
Das wurde vom Berufungsgericht im Grundsatz nicht verkannt.
In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrat es die Auffassung, dass mit dem auf eine unbeschränkte Klage insgesamt zuzuerkennenden Schmerzensgeld nicht nur alle bereits eingetretenen, sondern auch alle erkennbaren und objektiv...