Rz. 105

BGH, Beschl. v. 16.9.2016 – VGS 1/16, VersR 2017, 180

Zitat

BGB § 253

Bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (vormals § 847 BGB a.F.) können alle Umstände des Falles berücksichtigt werden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten können dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Aus den Gründen

 

Rz. 106

Die erste Vorlagefrage ist – der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen vom 6.7.1955 (GSZ 1/55, BGHZ 18, 149) folgend – dahin zu beantworten, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB aF) alle Umstände des Falles berücksichtigt werden können. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten können dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

 

Rz. 107

Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden (§ 253 Abs. 2 BGB). Der unbestimmte Rechtsbegriff der "billigen Entschädigung" meint sowohl nach dem Wortlaut als auch nach systematischer, historischer und teleologischer Auslegung eine angemessene Entschädigung, bei deren Bemessung der Tatrichter alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen darf.

 

Rz. 108

Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie die einzelnen Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu gewichten sind.

Dabei stehen die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund (vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157). Bei den unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigenden Umständen hat die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen stets das ausschlaggebende Moment zu bilden; der von dem Schädiger zu verantwortende immaterielle Schaden, die Lebensbeeinträchtigung steht im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen immer an der Spitze (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 167).

 

Rz. 109

Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie – was der 2. Strafsenat nicht in Zweifel zieht – der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157 ff.). Ein allgemein geltendes Rangverhältnis aller anderen zu berücksichtigenden Umstände lässt sich nicht aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die Höhe der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 167 f.; Diederichsen, VersR 2005, 433). Auch hierzu sind die Ausführungen des Großen Senats für Zivilsachen in seinem Beschl. v. 6.7.1955 (GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157 ff.) weiterhin maßgebend.

 

Rz. 110

Vor diesem Hintergrund kann entgegen der Auffassung des 2. Strafsenats eine isolierte Betrachtung dahin, ob es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes generell-abstrakt zum einen auf die Vermögenslage des Geschädigten (Beschl. v. 8.10.2014, 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14, r+s 2015, 94 Rn 23 ff.), zum anderen auf die Vermögenslage des Schädigers (a.a.O., Rn 33 ff.) ankommen dürfe (ebenso teilweise die Literatur, vgl. Pecher, AcP 171 (1971), 44, 69 f.; Ekkenga/Kuntz in Soergel, BGB, 13. Aufl., § 253 Rn 16), nicht Platz greifen. Denn es geht bei der Bemessung der billigen Entschädigung um eine Gesamtbetrachtung. Erst dadurch, dass der (Tat-)Richter im ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 168), ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (vgl. auch Müller, VersR 1993, 909, 915 f.; MüKoBGB/Oetker, 6. Aufl., § 253 Rn 38; Vieweg/Lorz, in: jurisPK-BGB, Stand 1.10.2014, § 253 Rn 75).

 

Rz. 111

Die Betrachtung, dass es – generell-abstrakt – nicht zulässig ist, die Vermögenslage des Schädigers oder des Geschädigten einzubeziehen, hätte zudem zur Folge, dass die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes unausgesprochen negiert würde (so auch 3. Strafsenat, Beschl. v. 5.3.2015 – 3 ARs 29/14, a.a.O.). Wenn der Genugtuungsgedanke eine Bedeutung behalten soll, sind "Art und Ausmaß des vom Schädiger wiedergutzumachenden Unrechts" eben nicht in allen denkbaren Fällen abstrakt-generell von seinen Vermögensverhältnissen und insbesondere einem etwaigen wirtschaftlichen Gefälle zwischen den Parteien "gänzlich unabhängig" (2. Strafsenat, Beschl. v. 8.10.2014 – 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14, a.a.O. Rn 35). Die Verletzung einer "armen"...

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