Rz. 77
Punkt 15.1 bis 3 AVB Reisegepäck 1992/2021 führt im Einzelnen die vertraglichen Obliegenheiten auf, die der Versicherungsnehmer bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen hat. Kommt er diesen Verhaltensnormen nicht nach, läuft er Gefahr seinen Anspruch ganz oder teilweise zu verlieren.
Punkt 15.4 AVB Reisegepäck 1992/2021 ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Wiederholung von § 28 Abs. 2 VVG, während Punkt 15.5 AVB Reisegepäck 1992/2021 die Regelung des § 28 Abs. 3 VVG wiedergibt. Durch die VVG-Reform wurde das Recht der vertraglichen Obliegenheiten neu geordnet und strukturiert (vgl. § 1 Rdn 181 ff.). Danach ist bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit eine Obliegenheitsverletzung ohne Einfluss auf die Eintrittspflicht des Versicherers. Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung führt auch weiterhin zur Leistungsfreiheit des Versicherers, es sei denn sie hat weder Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Entschädigung. Wird die Obliegenheitsverletzung grob fahrlässig herbeigeführt, so ist der Versicherer berechtigt seine Leistung der Schwere des Verschuldens entsprechend zu kürzen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder auf die Feststellung oder den Umfang der Entschädigung hat. Die vollständige bzw. teilweise Leistungsfreiheit greift bezüglich der Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nur, soweit der Versicherer durch eine gesonderte Mitteilung (in Textform) auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat (Punkt 15.6 AVB Reisegepäck, § 28 Abs. 4 VVG). Diese Belehrungspflicht greift jedoch nicht bei Spontanobliegenheiten, z.B. dem Einreichen einer Stehlgutliste. Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für das Nichtvorliegen der groben Fahrlässigkeit. Der Versicherer trägt sie für das Vorliegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung.
Rz. 78
Wirksame Anpassung alter AVB auf das neue VVG: Nicht alle Versicherer haben ihre Verträge auf die Regelungen des neuen VVG wirksam umgestellt. Die Umstellungsfrist endete 2009 (Art. 1 Abs. 3 EGVVG). Streitig ist die Frage, ob sich ein Versicherer, der nicht oder nicht wirksam seine Bedingungen an das neue VVG angepasst hat, bei einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers tatbestandlich auf die nicht angepassten AVB berufen kann, gleichzeitig aber nicht die im Vertrag genannte vollständige Leistungsfreiheit, sondern die nach dem neuen VVG an eine solche Obliegenheitsverletzung geknüpfte Rechtsfolge anwenden kann. Das OLG Köln verneint dies. Der BGH bestätigte die Entscheidung mit der Begründung, dass die in den nicht angepassten AVB genannte Rechtsfolgenregelung unwirksam wird und sich über § 28 Abs. 2 S. 2 VVG keine unmittelbare Anwendung der im neuen VVG fixierten Rechtsfolgen ergibt. Anders sehen dies das LG Ellwangen und das LG Erfurt. Demnach darf die Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers nicht uneingeschränkt folgenlos bleiben. Eine Leistungskürzung sei demnach nur ausgeschlossen, wenn aus der mangelnden Vertragsanpassung ein Widerspruch zwischen allen AVB und neuem VVG entstehen würde. Der Versicherungsnehmer dürfte nicht darauf vertrauen, dass sein Verhalten aufgrund der Gesetzesänderung völlig sanktionslos bliebe. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 28 Abs. 2 VVG eine vertragliche Vereinbarung voraussetzt und kein gesetzliches Kürzungsrecht beinhaltet. Dem Versicherer ist es jedoch unbenommen, seine Leistungskürzung bzw. -verweigerung mit der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 Abs. 2 VVG oder mit Gefahrerhöhung nach §§ 23 ff. VVG zu begründen.
Rz. 79
Hinweis
Bei den Reiseversicherungsverträgen handelt es sich zwar in der Regel um kurzfristige Verträge. Prüfen Sie jedoch bei längeren Verträgen, ob die AVB wirksam auf das neue VVG umgestellt wurden. Ist dies nicht erfolgt, so kann sich der Versicherer nicht wirksam auf eine Leistungskürzung wegen grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit berufen.
Rz. 80
Die Einführung des Quotenmodells in das neue VVG hat die Diskussion aufgeworfen, ob dies den Versicherer auch zu einer Leistungskürzung auf Null berechtige. Der BGH hat dies inzwischen bejaht. Sowohl die Auslegung des Gesetzestextes, als auch die Entstehungsgeschichte dieser Regelung schlössen eine solch umfassende Kürzung nicht aus. Allerdings sei dies nur in Ausnahmefällen möglich und stark abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Auch für den Bereich der Sachversicherung ist die Möglichkeit einer Leistungskürzung auf Null bereits gerichtlich bestätigt.
Rz. 81
Die vom BGH aufgestellte Anforderung für die Annahme von grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers, dass dieser die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet hat, das in seiner Lage jedem hätte einleuchten müssen, bleibt. Neben der Frage, ob eine grob fahrlässige ObIiegenheitsverl...