1. Allgemeines
Rz. 95
Punkt 16 AVB Reisegepäck 1992/2021 schafft keine spezielle Regelung für die Reisegepäckversicherung. Auch wenn diese Bestimmung gestrichen würde, würden sich Rechte und Pflichten aus dem Reisegepäckversicherungsvertrag nicht ändern.
Rz. 96
Punkt 16.1 AVB Reisegepäck 1992/2021 wiederholt den Text von § 81 Abs. 1 VVG, wonach der Versicherer leistungsfrei ist, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Bei einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls ist der Versicherer berechtigt, die Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens zu kürzen (Punkt 16.2 AVB Reisegepäck 1992/2021 entspricht somit § 81 Abs. 2 VVG). Obwohl die Reisegepäckversicherung unzweifelhaft Schadensversicherung ist, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass § 81 VVG nur für den Bereich der Schadensversicherungen gilt.
Punkt 16.3 AVB Reisegepäck 1992/2021 wiederholt noch einmal den Regelungsinhalt von § 28 Abs. 3 S. 2 VVG. Diese Regelung dient der Klarstellung, denn jedes arglistige Verhalten der versicherten Person führt zur Leistungsfreiheit des Versicherers.
Rz. 97
Vorsatz wird in der Reisegepäckversicherung kaum jemals vorkommen. Bei den versicherten Gefahren Diebstahl, Einbruchsdiebstahl, Raub, räuberische Erpressung, vorsätzliche Sachbeschädigung ist schon begrifflich ein Vorsatz des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person nicht denkbar.
Rz. 98
Die vor der VVG Reform 2008 veröffentlichte Judikatur hat auch heute noch hinweisgebenden Charakter für die Beurteilung, ob der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt ist oder nicht. Diese und aktuelle Entscheidungen werden weiter unten (vgl. Rdn 101–111) dargestellt.
Bei der Rechtsprechung zum alten VVG kann wegen des damals geltenden Alles-oder-nichts-Prinzips angenommen werden, dass im Zweifel eher zugunsten des Versicherungsnehmers entschieden wurde. Die rückläufige Zahl der veröffentlichten Entscheidungen lässt vermuten, dass der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit vom Versicherten leichter akzeptiert wird, wenn er zumindest einen Teil des Schadens erstattet bekommt.
Rz. 99
Nicht übersehen werden darf, dass der Versicherungsnehmer oder Versicherte den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt haben muss, dies betrifft die Tatbestandsseite. Erst auf der Rechtsfolgenseite kommt es dann nach neuem Recht zu einer Bewertung der Schwere des Verschuldens und damit Ermittlung der Höhe der quotalen Leistungskürzung. Soweit es das mitversicherte Interesse eines mitreisenden Familienangehörigen anbelangt, kommt es zunächst auf dessen grobe Fahrlässigkeit an, wie sich aus § 47 Abs. 1 VVG ergibt.
Hinweis
Tritt der Versicherungsfall lediglich bei einem Teil des Reisegepäcks ein, das einem mitreisenden und mitversicherten Familienangehörigen gehört, ist entscheidend, ob dieser grob fahrlässig den Versicherungsfall herbeigeführt hat. Andererseits ist zu beachten, dass grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers selbst in jedem Falle zur Leistungskürzung führt, auch soweit fremdes Interesse berührt ist.
Rz. 100
Dem Versicherungsnehmer steht sein Repräsentant gleich. Wenn also der Repräsentant den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, kann der Versicherungsnehmer keine vollständigen Leistungen aus dem Versicherungsvertrag beanspruchen. Die Tendenz der neueren Rechtsprechung geht aber dahin, den Kreis der Repräsentanten sehr eng zu ziehen. In der Reisegepäckversicherung wird man nur dann von einem Repräsentanten sprechen können, wenn dieser mindestens in Teilbereichen selbstständig für den Versicherungsnehmer handeln darf und insoweit für einen längeren Zeitraum gleichsam an dessen Stelle getreten ist. Das kann beispielsweise in dem Fall bejaht werden, in dem während eines Familienurlaubs mit dem Auto der Familienvater aus geschäftlichen Gründen vorzeitig zurückfliegen muss, sein Reisegepäck aber bei der Restfamilie belässt, die es dann per Auto wieder nach Hause zurückführen soll.
Nicht zuzustimmen ist daher einem Teil der Rechtsprechung, der schon eine Repräsentanteneigenschaft desjenigen annimmt, dem Reisegepäck nur kurzfristig zur Inobhutnahme überantwortet wurde, und dessen Fehlverhalten dem Versicherungsnehmer zurechnet.
Daher erscheint auch eine Entscheidung des LG Hamburg fraglich. Dort musste eine Reisegruppe auf der Fahrt vom Hotel zum Flughafen auf verschiedene Taxen aufgeteilt werden, wobei das Gepäck eines Reisenden in einer anderen Taxe als derjenigen, die er benutzte, mitbefördert wurde. Der Reisende bat daher eine Mitreisende, die in dem befördernden Taxi saß, auf seinen Koffer zu achten. Das Taxi mit dem Koffer des Reisenden traf vor dem Taxi, in dem er mitfuhr, am Flughafen ein. Das Gepäck wurde ausgeladen. Die Mitreisende stand in der Nähe, allerdings ohne körperlichen oder visuellen Kontakt zum Gepäck zu haben. Sie ließ sich in eine Unterhaltung ziehen und bemerkte nicht, dass der Koffer, auf den sie achten sollte, zwischenzeitlich gestohlen wurde. Das LG Hamburg n...