Rz. 24
Die Behörde kann (nicht: muss) der beabsichtigten Kündigung zustimmen, wenn ein “besonderer Fall“ i.S.d. § 17 Abs. 2 MuSchG vorliegt. Ein besonderer Fall ist nur in engen Ausnahmesituationen gegeben, z.B. bei Straftaten der Arbeitnehmerin oder einer Betriebsstilllegung. Ebenso wurde ein "besonderer Fall" durch die Rechtsprechung in dem Fall angenommen, in dem eine schwangere Auszubildende trotz unzähliger Versuche des Arbeitgebers zur Kontaktaufnahme nicht reagierte und unentschuldigte Fehlzeiten von mehr als zehn Wochen vorlagen. Wirtschaftliche Gründe führen regelmäßig noch nicht dazu, die Interessen der Arbeitnehmerin hinter die Interessen des Arbeitgebers zurücktreten zu lassen. Bei der Angabe von betriebsbedingten Gründen wird die Behörde die Zustimmung davon abhängig machen, ob tatsächlich keine Möglichkeit mehr besteht, die Arbeitnehmerin weiter zu beschäftigen. Das ist nicht bereits bei einem bloßen Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes der Fall, kommt aber dann in Betracht, wenn der einzige Betrieb eines Unternehmens komplett und endgültig stillgelegt wird. Im verhaltensbezogenen Bereich ist ein "besonderer Fall" erst bei besonders schweren arbeitsrechtlichen Pflichtverstößen gegeben, wenn diese dazu führen, dass die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber "schlechthin unzumutbar wird". Bei Verletzungen von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten kommt die Annahme eines solchen "besonders schweren Falles" nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht.
Rz. 25
Praxishinweis
Das Vorliegen eines "besonderen Falls" i.S.d. § 17 MuSchG ist nicht zu verwechseln mit dem "wichtigen Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Der inhaltliche Maßstab für die Annahme eines besonderen Falls ist aus Sicht des Arbeitgebers ein anderer (i.d.R. noch enger) als bei einer "normalen" außerordentlichen Kündigung und nicht primär an der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, sondern an dem gesetzgeberischen Schutzzweck des § 17 MuSchG orientiert.
Rz. 26
Der "besondere Fall" i.S.d. § 17 Abs. 2 S. 1 MuSchG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar und ist in vollem Umfang vom Verwaltungsgericht gerichtlich nachprüfbar. Wird der besondere Fall bejaht, räumt § 17 Abs. 2 MuSchG der Behörde gleichwohl ein Ermessen ein, ob der beabsichtigten Kündigung zugestimmt wird oder nicht ("kann"). Erteilt die Behörde die Zulässigkeitserklärung für die Kündigung, ist hierdurch die Kündigungssperre des § 17 MuSchG aufgehoben. Eine präjudizielle Wirkung für die Wirksamkeit der Kündigung ist damit jedoch nicht verbunden. Gem. § 17 Abs. 2 S. 2 MuSchG bedarf die Kündigung der schriftlichen Form und muss den zulässigen Kündigungsgrund angeben. Der Arbeitgeber kann sich im Kündigungsschutzverfahren nur auf die im Kündigungsschreiben mitgeteilten Gründe berufen.
Rz. 27
Der Wegfall der Kündigungssperre bedeutet noch nicht, dass die Kündigung auch wirksam ist. Erhebt die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage, entscheidet allein das Arbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Kündigung. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss gem. § 4 KSchG innerhalb von drei Wochen geltend gemacht werden. Die Frist beginnt gem. § 4 S. 4 KSchG erst ab Zugang der Zustimmung der nach § 17 Abs. 2 S. 1 MuSchG zuständigen Behörde bei der Arbeitnehmerin. Dies gilt nur, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwangerschaft hatte. Gem. § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG ist die Klage jedoch nachträglich zuzulassen, wenn die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG Kenntnis erlangt hat. Ob eine Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt oder die Kündigungsfrist eingehalten wurde etc. ist unabhängig von den Vorschriften des MuSchG zu beurteilen.
Rz. 28
Gegen die Entscheidung der Behörde stehen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmerin das Widerspruchs- und Klageverfahren zur Verfügung. Widerspruch und Anfechtungsklage der schwangeren Arbeitnehmerin führen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Durch den Suspensiveffekt des Widerspruchs entfallen die Rechtswirkungen der Zulässigkeitserklärung nur vorläufig. Die Zulässigkeitserklärung ist daher "schwebend wirksam". Der Arbeitgeber ist somit berechtigt, aufgrund der Zulässigkeitserklärung die Kündigung auszusprechen. Wird die Zulässigkeitserklärung im Rechtsmittelverfahren allerdings aufgehoben, so wird die Kündigung rückwirkend unwirksam. An den bestandskräftigen Verwaltungsakt sind die Arbeitsgerichte gebunden. Ob der arbeitsgerichtliche Rechtsstreit bis zum Abschluss des verwaltungsrechtlichen Rechtsstreits auszusetzen ist, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen.