A. Einführung
Rz. 1
Neben dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG gibt es eine Reihe weiterer Kündigungsbeschränkungen, durch die bestimmte Arbeitnehmer in besonderer Weise vor arbeitgeberseitigen Kündigungen geschützt werden. In Abgrenzung zum allgemeinen Kündigungsschutz spricht man hier vom besonderen Kündigungsschutz. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen die Kündigung durch den Arbeitgeber entweder von der Zustimmung einer staatlichen Behörde abhängig gemacht oder das Arbeitsverhältnis z.B. durch den Ausschluss der ordentlichen Kündigung privilegiert. Die Stellung eines Auflösungsantrags durch den Arbeitgeber ist nicht von vornherein ausgeschlossen, jedoch dürfen die Auflösungsgründe nicht mit Sachverhalten im Zusammenhang stehen, die während des Bestehens des besonderen Kündigungsschutzes entstanden sind. Besonderen Kündigungsschutzregelungen unterliegen insbesondere Mütter und Schwangere (vgl. Rdn 2 ff.), Elternzeitberechtigte (vgl. Rdn 29 ff.), Arbeitnehmer, die (Familien-)Pflegezeit in Anspruch nehmen (vgl. Rdn 45 ff.), schwerbehinderte Menschen (vgl. Rdn 54 ff.) sowie Betriebsratsmitglieder (vgl. Rdn 92 ff.).
B. Kündigungsschutz nach dem MuSchG
Rz. 2
Das Kündigungsverbot ist bereits aufgrund Art. 10 der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG rechtlich geboten.
Das primäre Anliegen des mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes besteht darin, der werdenden Mutter und der Wöchnerin trotz ihrer etwa mutterschaftsbedingten Leistungsminderung oder Arbeitsunfähigkeit den Arbeitsplatz als wirtschaftliche Existenzgrundlage zu erhalten und sie vor den psychischen Belastungen eines Kündigungsschutzprozesses zu schützen.
I. Geltungsbereich und Dauer
Rz. 3
Nach der zentralen Regelung des § 17 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung und bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung, unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Gem. § 1 Abs. 2 und 4 gilt das MuSchG für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt und die in einem Beschäftigungsverhältnis i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV steht. Das Gesetz gilt unabhängig von einem solchen Beschäftigungsverhältnis auch für die in § 1 Abs. 2 S. 2 MuSchG genannten Personen. Das MuSchG ist auf alle Formen der Teilzeitbeschäftigung, auf geringfügig Beschäftigte und auf befristete Arbeitsverhältnisse ebenso wie auf Aushilfs-, Probe- und nebenberuflich geführte Arbeitsverhältnisse anwendbar. Über § 3 Abs. 2 BBiG genießen auch minderjährige Auszubildende den besonderen Kündigungsschutz. Der Mutterschutz greift bereits mit dem Vertragsschluss ein, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme oder die Erfüllung einer Wartezeit ankommt. Selbstständige und freie Mitarbeiterinnen genießen dagegen keinen mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz. Bei GmbH-Geschäftsführerinnen besteht ein Beschäftigungsverhältnis i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV, soweit sie Beschlüsse der Gesellschafter verhindern können. Auf die Fremdgeschäftsführerin und die geschäftsführende Gesellschafterin ohne Mehrheitsbeteiligung oder Sperrminorität wird der Sonderkündigungsschutz aus § 17 MuSchG angewandt. Vorstandsmitglieder genießen grundsätzlich den Schutz aus § 17 MuSchG, sofern sie nicht in den Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III fallen oder die Versicherungspflichtgrenze überschreiten. Handelt es sich um ein bloß faktisches Arbeitsverhältnis, gilt § 17 MuSchG nicht, weil ein solches Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Kündigung beendet werden kann. § 17 MuSchG greift auch dann nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag beendet wird.
II. Voraussetzungen des Kündigungsschutzes
1. Schwangerschaft
Rz. 4
Das absolute Kündigungsverbot setzt bei einer normal herbeigeführten Schwangerschaft objektiv das Bestehen der Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung voraus. Zur Feststellung des Beginns der Schwangerschaft ist von dem in einem ärztlichen Attest prognostizierten Entbindungstag um 280 Tage zurückzurechnen, wobei der voraussichtliche Entbindungstag nicht mitzurechnen ist. Diese Berechnungsmethode des BAG wurde in der jüngeren Vergangenheit vom LAG Baden-Württemberg und Teilen der Literatur abgelehnt. Bei der Rückberechnung handele es sich um eine Herleitung des wahrscheinlichen Schwangerschaftsbeginns über statistische Wahrscheinlichkeiten. Dies soll jedoch allenfalls über einen Anscheinsbeweis möglich sein...