Rz. 11

Neben einem Familienstammbaum sollte der Berater bei Ermittlung der Ausgangslage das Vermögen des Mandanten in einem Nachlassverzeichnis erfassen. Hierbei sollte insb. nach Immobilien, Betriebsvermögen, Vermögen im Ausland, Geld bzw. Barvermögen und sonstigem Vermögen differenziert werden. Ebenso erfasst werden sollten Lebensversicherungen und Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall. In Bezug auf die Lebensversicherungen sollte die Art der Versicherung, die Versicherungssumme sowie die beteiligten Personen (Versicherungsnehmer, versicherte Person und bezugsberechtigte Person) festgehalten werden. Eingang in das Nachlassverzeichnis müssen natürlich auch Verbindlichkeiten des Mandanten finden.

 

Rz. 12

Bei Eheleuten ist es wichtig festzuhalten, wer im Grundbuch als Eigentümer einer Immobilie steht und/oder auf welchen Namen vorhandene Bankkonten laufen. Ferner ist die Frage der Vererblichkeit des Vermögens abzuklären. Handelt es sich bei bestimmten Vermögensbestandteilen bspw. nur um Vorerbenvermögen, dann kann der Erblasser selbst hierüber nicht verfügen. Im Weiteren hat der Berater sein Augenmerk darauf zu richten, ob sich Grundbesitz im Ausland befindet. Hier kann es zu einer Nachlassspaltung kommen, wenn das ausländische Erbrecht das sog. "lex rei sitae" (Recht des Lageorts oder Belegenheitsstatut) vorsieht (Näheres hierzu siehe Rdn 181 ff.). Zu beachten ist aber auch die EuErbVO, die für alle Erbfälle seit dem 17.8.2015 gilt (siehe Rdn 9).

 

Rz. 13

Des Weiteren sind im Mandantengespräch Besonderheiten in der familiären Struktur herauszuarbeiten. Hierunter fallen bspw. behinderte (vgl. Rdn 204 ff.) oder drogenabhängige Kinder. Beinahe schon die Regel stellt die Fallkonstellation dar, dass einer oder gar beide Ehegatten bereits verheiratet waren und Kinder mit in die Ehe bringen, wenn also sog. "Patchworkfamilien" bestehen (vgl. Rdn 191 ff.).

 

Rz. 14

Ganz besondere Vorsicht ist geboten bei der Errichtung eines Testaments für einen Unternehmer. Es ist streng zwischen Privat- und Betriebsvermögen zu unterscheiden. Hier gelten sowohl in zivilrechtlicher als auch in steuerlicher Sicht Sondervorschriften, vgl. dazu speziell Rdn 212 ff.

 

Rz. 15

Sodann hat hinsichtlich der jeweiligen Vermögensgegenstände eine steuerliche Qualifizierung zu erfolgen. Auch an dieser Stelle ist zwischen Privat- und Betriebsvermögen zu unterscheiden. Dies spielt nicht nur für die Berechnung der Erbschaftsteuer eine Rolle, sondern auch für die erbrechtliche Gestaltung sowie im Rahmen des Einkommensteuerrechts. Der Berater hat den Mandanten bei Mandatsaufnahme jedoch nicht nur nach seinem Ist-Vermögen, sondern auch nach seinem fiktiven Vermögen zu befragen.

a) Ist-Vermögen

 

Rz. 16

Ist-Vermögen, ist das derzeitige Vermögen des Erblassers und das zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandene Vermögen.

b) Fiktives Vermögen

 

Rz. 17

Unter fiktivem Vermögen sind sog. Vorempfänge zu verstehen. Der Berater muss unbedingt feststellen, welche lebzeitigen Zuwendungen der Mandant und sein Ehegatte an seine Abkömmlinge, seinen Ehegatten oder an Dritte vorgenommen haben. Zum einen spielen diese im Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen eine Rolle, zum anderen sind Vorempfänge zur Ausgleichung (§§ 2050 ff. BGB) unter Abkömmlingen von Relevanz. Zuwendungen nach § 2050 Abs. 1 BGB (Ausstattungen gem. § 1624 BGB) und § 2050 Abs. 2 BGB (Übermaßausbildung) sind sog. "geborene" Ausgleichungen, da diese von ihrem Wesen her immer auszugleichen sind. Es sei denn, es liegt eine anders lautende Anordnung des Erblassers vor. Bei den sonstigen Zuwendungen i.S.d. § 2050 Abs. 3 BGB spricht man von einer "gekorenen" Ausgleichung, da die Ausgleichung nur dann vorzunehmen ist, wenn dies ausdrücklich durch den Erblasser angeordnet wurde.[2] Zudem sind die Vorempfänge zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen nach den §§ 2315, 2316 BGB von Bedeutung.

 

Rz. 18

Nach Feststellung der Art des Vorempfangs ist sodann festzuhalten, von wem der Vorempfang stammt. Grundsätzlich sind immer nur Vorempfänge des direkten Erblassers auszugleichen. Sofern die Ehegatten jedoch ein Berliner Testament verfügt und ihre Kinder zu Schlusserben eingesetzt haben, gilt der sog. "erweiterte Erblasserbegriff".[3] Demnach sind auch die Vorempfänge auszugleichen, die der Abkömmling über den Erstverstorbenen erworben hat.

 

Praxishinweis

Der erweiterte Erblasserbegriff gilt nicht zur Berechnung des Pflichtteils nach § 2315 und § 2316 BGB!

Um das vom Mandanten gewünschte Ziel mittels der Verfügung von Todes wegen zu erreichen, ist also die Kenntnis und Berücksichtigung von Vorempfängen unerlässlich.

[2] Nieder/Kössinger/Najdecki, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 2 Rn 221.
[3] BGHZ 88, 102.

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