Gundolf Rüge, Dr. iur. Marcus Hartmann
Rz. 57
Nach § 89 Abs. 2 WHG haftet der Betreiber einer Anlage zur Herstellung, Verarbeitung, Lagerung, Ablagerung, Beförderung oder Wegleitung von Stoffen für die schädlichen Folgen der Wasserverschlechterung, die dadurch entstehen, dass aus einer solchen Anlage Stoffe in ein Gewässer gelangen, ohne in dieses eingebracht oder eingeleitet worden zu sein. § 89 Abs. 2 WHG als unmittelbare Anspruchsgrundlage hat mithin folgende Anspruchsvoraussetzungen: Wassergefährdende Stoffe gelangen aus einer Anlage zu deren Herstellung, Verarbeitung, Lagerung, Ablagerung, Beförderung oder Wegleitung in ein Gewässer, bewirken eine Wasserverschlechterung, wodurch ein Schaden entsteht.
Rz. 58
Der Begriff der Anlage nach § 89 Abs. 2 WHG ist weit gefasst. Anlagen nach § 89 Abs. 2 WHG sind alle ortsfesten oder ortsveränderlichen Einrichtungen, mit denen im Allgemeinen für eine gewisse Dauer die in § 89 Abs. 2 WHG aufgeführten Zwecke mit technischen Mitteln verfolgt werden, nämlich die Herstellung, Verarbeitung, Lagerung, Ablagerung, Beförderung oder Wegleitung von Stoffen. Hierfür kommen nur Wasser gefährdende Stoffe in Betracht, das heißt Stoffe, die ihrer Natur nach geeignet sind, die Wasserbeschaffenheit nachteilig zu verändern. Nicht erfasst sind Anlagen, die ihrer Natur nach an sich nicht wassergefährdende Stoffen lagern und die nur zufällig, durch einen von außen wirkenden Umstand, etwa aufgrund physikalischer oder chemischer Umwandlung, wassergefährdende Qualität erlangen und in dieser Form in Gewässer einfließen. So ist eine Halle, in der Kunststoffbauteile lagern, welche erst infolge eines Brandes Wasser gefährdende Konsistenz annehmen und mit dem Löschwasser in Gewässer gelangen, keine Anlage in diesem Sinne. Für die Bestimmung als Anlage kommt es nicht auf die Größe, technische Ausstattung und den wirtschaftlichen Zweck an. Jedoch ist bei der Begriffsbestimmung die Verkehrsauffassung zu berücksichtigen. Eine Anlage zur Verarbeitung liegt über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch bei gewerblichen Anlagen vor, die zur Bearbeitung, Vernichtung oder Verwendung von Stoffen bestimmt sind. Unerheblich ist, ob sich die Anlage noch in Betrieb befindet, sofern von ihr – etwa aufgrund von enthaltenem Öl – noch eine Gefahr ausgeht.
Rz. 59
Anlagen sind beispielsweise:
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Fabrikationsanlagen, |
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Halden, |
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über- und untertägige Abfallentsorgungsanlagen, |
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Abwasserkanäle, |
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Behälter zur Lagerung oder Beförderung Wasser gefährdender Stoffe (Fässer, Container, Tankspeicher), |
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ein eingebauter Heizöltank, |
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ein stillgelegter Bergwerksstollen, |
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Hochdruckreinigungsgerät zur Fahrzeugwäsche, |
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Jauchebehälter, |
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Futtersilagemiete, |
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Tankwagen, |
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Misthaufen, |
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Dieselölfass, |
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Güllefass, |
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Silo, |
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Schweinesuhle, |
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Tankschiff, |
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eine Tankerlöschbrücke sowie |
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technisches Gerät zum Verteilen von Dünger, Klärschlamm oder Pflanzenschutzmitteln auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. |
Rz. 60
Keine Anlagen in diesem Sinn sind z.B.:
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ein Transformator, aus dem Kühlmittel austritt, |
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ein offener Farbeimer, den der Maler trägt, und ein Fahrzeug, das nur den zur eigenen Fortbewegung benötigten Kraftstoff mitführt. |
Rz. 61
Das Hineingelangen von Stoffen in ein Gewässer setzt im Unterschied zu § 89 Abs. 1 WHG keine objektiv darauf gerichtete Handlung voraus. Die Anlagenhaftung kann demnach auch bei Unglücksfällen zur Anwendung kommen, sofern die Haftung nicht aufgrund höherer Gewalt ausgeschlossen ist (vgl. dazu unten Rdn 67). Es genügt, dass die Wasser gefährdenden Stoffe – auch zufällig oder bei bestimmungsgemäßem Gebrauch – aus einer der in Abs. 2 S. 1 genannten Anlage in ein Gewässer gelangen. Das erfordert nicht, dass die Stoffe unmittelbar aus der Anlage in ein Gewässer gelangen, sondern es reicht aus, wenn dies erst durch Hinzutreten weiterer Umstände geschieht.
Rz. 62
Streitig ist, ob eine Haftung gemäß § 89 Abs. 2 WHG ausgeschlossen ist, wenn ein (zielgerichtetes) Einbringen bzw. Einleiten im Sinne des § 89 Abs. 1 WHG vorliegt. Die h.L. geht trotz des Wortlauts des § 89 Abs. 2 WHG – Gelangen von Stoffen in ein Gewässer, "ohne in dieses eingebracht oder eingeleitet zu sein" – davon aus, dass es für den Tatbestand des § 89 Abs. 2 WHG nicht negative Voraussetzung ist, dass die Stoffe nicht eingebracht oder eingeleitet wurden. In der Rechtsprechung hingegen wird vertreten, dass ein zielgerichtetes Einbringen oder Einleiten eine Anwendung des § 89 Abs. 2 WHG ausschließt. Dagegen spricht jedoch, der Schutzzweck des § 89 Abs. 2 WHG, einen umfassenden Ausgleich für Gewässerverunreinigungen zu gewährleisten. Die Haftung nach dieser Norm ist daher entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nicht ausgeschlossen, wenn Stoffe durch Einleiten oder Einbringen in ein Gewässer hineingelangt sind, ohne dass hieraus – etwa wegen fehlender Zweckgerichtetheit des Handelns – die Haftung nach § 89 Abs. 1 WHG begründet is...