Gundolf Rüge, Dr. iur. Marcus Hartmann
Rz. 106
Berechtigter des Ersatzanspruches sowohl gegen den Inhaber einer Kernanlage (§ 25 Abs. 1 AtomG i.V.m. Art. 1, 3 PÜ) als auch gegen den Besitzer in den sonstigen Fällen des § 26 AtomG ist derjenige, der durch ein nukleares Ereignis Schäden an Leben oder Gesundheit sowie an oder den Verlust von Vermögenswerten erlitten hat (Art. 3 (a) (ii) PÜ). Die weitere Regelung von Art, Form und Umfang des Schadensersatzes sowie dessen gerechte Verteilung ist durch Art. 11 PÜ dem nationalen Gesetzgeber überlassen worden, der hierfür – wie für die Haftung nach § 26 AtomG – die §§ 28 bis 30 AtomG erlassen hat.
Insoweit wird wegen der gleich lautenden Regelungen auf die Ausführungen zum UmweltHG (§§ 12 bis 14 UmweltHG) in § 7 Rdn 27 ff. verwiesen. Zusätzlich hierzu wird nach den §§ 28 Abs. 1 und 29 Abs. 1 AtomG bei Tötung und Körperverletzung der Vermögensnachteil ersetzt, der durch erschwertes berufliches Fortkommen entstanden ist.
Rz. 107
Dementsprechend werden nur Schäden an diesen aufgeführten Rechtsgütern ersetzt, nicht dagegen weitere Vermögensschäden. Zu den Vermögenswerten, für deren Schädigung oder Verlust infolge eines nuklearen Ereignisses der Inhaber der Kernanlage nach § 25 AtomG in Verbindung mit Art. 3 (a) PÜ haftet, gehört auch der Gewerbebetrieb. Ausgenommen von der Ersatzpflicht sind indes nach Art. 3 (a) (ii) Nrn. 1 und 2 PÜ Schäden an der Kernanlage selbst und jeglichen Sachen, die sich zur Verwendung im Zusammenhang mit Kernanlagen auf deren Gelände befinden sowie in den Fällen des Art. 4 PÜ Schäden an den Beförderungsmitteln, auf denen sich die betreffenden Kernmaterialien zur Zeit des nuklearen Ereignisses befunden haben. Hierzu wird auf die Ausführungen von Haedrich verwiesen. Seit August 2002 kann gemäß § 29 Abs. 2 AtomG Schmerzensgeld als immaterieller Schadensersatz verschuldensunabhängig beansprucht werden.
Rz. 108
Anspruchsberechtigt sind seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vom 17.7.2017 gemäß § 28 Abs. 3 AtomG auch Hinterbliebene, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen. Für das ihnen zugefügte seelische Leid erhalten diese eine angemessene Entschädigung in Geld. Auch insoweit wird auf die Ausführungen zu dem zu § 28 Abs. 3 AtomG wortgleichen § 12 Abs. 3 UmweltHG unter § 7 Rdn 25, 29 verwiesen.
Rz. 109
Die Atomhaftung ist grundsätzlich summenmäßig unbegrenzt (§ 31 Abs. 1 S. 1 AtomG). Haftungshöchstgrenzen gelten innerstaatlich nach § 31 Abs. 1 S. 2 AtomG nur in den qualifizierten Fällen höherer Gewalt, in denen § 25 Abs. 3 AtomG abweichend von Art. 9 PÜ eine Haftung des Inhabers einer Kernanlage vorsieht, und bei Schäden in anderen Staaten, die keine gegenseitige unbegrenzte Haftung gewährleisten (§ 31 Abs. 2 AtomG). Im ersten Fall ist die Inhaberhaftung auf den Höchstbetrag der staatlichen Freistellungsverpflichtung beschränkt (2,5 Mrd. EUR; § 34 Abs. 1 S. 2 und § 13 Abs. 3 AtomG), im zweiten Fall auf den von dem anderen Staat für solche Schadensfälle vorgesehenen Höchstbetrag.
Rz. 110
Um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können, bedarf der Inhaber der Kernanlage – mit Ausnahme des Bundes und der Länder – einer Deckungsvorsorge (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 AtomG). Art, Umfang und Höhe der Vorsorge werden im Genehmigungsverfahren für die Kernanlage festgesetzt und regelmäßig angepasst (§ 13 Abs. 1 AtomG). Die Deckungsvorsorge – entweder eine Haftpflichtversicherung oder eine sonstige finanzielle Sicherheit – muss in einem angemessenen Verhältnis zur Gefährlichkeit der Anlage oder Tätigkeit stehen bzw. die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzpflichten sicherstellen (§ 13 Abs. 2 AtomG). Konkretisiert wurde diese Bestimmung durch die in §§ 7 ff. AtDeckV im Einzelnen festgelegten Deckungssummen. Zusätzliche Sicherheit für die Sicherstellung etwaiger Schadensersatzverpflichtungen des Inhabers einer Kernanlage bietet nach § 34 AtomG die Freistellungsverpflichtung des Staates für Verpflichtungen, die von der Vorsorge nicht gedeckt sind oder aus ihr nicht beglichen werden können. Sie beschränkt sich auf den derzeitigen Höchstbetrag von 2,5 Mrd. EUR (§ 34 Abs. 1 S. 2 AtomG).
Rz. 111
Schließlich sieht § 38 Abs. 1 und 2 AtomG einen Ausgleichsanspruch gegen den Bund vor für alle Fälle, in denen ein in Deutschland durch ein im Ausland eingetretenes nukleares Ereignis Geschädigter nach dem anwendbaren internationalen Recht keinen Ersatz verlangen kann. Diese Regelung bildet eine Art gesetzliche Ausfallbürgschaft des Staates. Die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach § 38 Abs. 2 AtomG geschieht im Wege der Verpflichtungsklage. Hierfür ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.