Rz. 115

Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich haben eine enorme wirtschaftliche Relevanz für die beteiligten Ehegatten: Beide verlieren von ihren eigenen Versorgungsanrechten für Erwerbsunfähigkeit und Alter die Hälfte, erwerben aber im Gegenzug von den Anrechten des anderen Ehegatten die Hälfte. Das ist für die Eheleute solange ohne größere wirtschaftliche Bedeutung, wie die auszugleichenden Anrechte auf beiden Seiten in etwa gleich hoch sind. Das wird aber anders, wenn einer der Ehegatten deutlich mehr abgeben muss als der andere. In diesen Fällen besteht immer die Gefahr, dass der Ehegatte, der durch den Versorgungsausgleich mehr verlieren würde, versucht, den Partner durch den Abschluss einer Vereinbarung zu übervorteilen. Der schwächere Ehegatte bedarf deswegen des Schutzes, auch wenn die Möglichkeit, Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich zu treffen, Teil der den Ehegatten zustehenden Vertragsfreiheit ist.[70]

 

Rz. 116

Das frühere Recht hatte die Möglichkeit, den Versorgungsausgleich durch Vereinbarungen zu regeln, sehr eingeschränkt: Wurde die Vereinbarung vor dem Scheidungsverfahren geschlossen, hatte es jeder Ehegatte in der Hand, die Wirkung dieser Vereinbarung zu beseitigen, indem er binnen eines Jahres nach ihrem Abschluss einen Scheidungsantrag stellte; die Vereinbarung wurde dann rückwirkend unwirksam (§ 1408 Abs. 2 BGB a.F.). Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich, welche im Scheidungsverfahren abgeschlossen wurden, bedurften zu ihrer Wirksamkeit der gerichtlichen Genehmigung (§ 1587o BGB a.F.).

 

Rz. 117

Das BVerfG hat im Jahr 2001 außerdem verlangt, dass bei Eheverträgen eine Inhaltskontrolle stattfinden muss, wenn der Ehevertrag zu einer evident einseitigen Lastenverteilung führen würde, sofern der belastete Ehegatte beim Abschluss des Vertrages in einer deutlich schwächeren Verhandlungsposition war.[71]

 

Rz. 118

Der BGH[72] hat diese Rechtsprechung aufgenommen und weiter präzisiert. Er hat den Familiengerichten aufgegeben, im Wege einer Inhaltskontrolle zu prüfen, inwieweit die Abreden in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreifen. Da die Rechtsprechung am Fall des Unterhaltsausschlusses entfaltet wurde, hat der BGH seine Kernbereichslehre seine Sicht von den Prob­lemen des Unterhaltsrechts ausgehend entfaltet. Er ordnet die Kernbereiche des Scheidungsfolgenrechts so, dass er als engsten und wesentlichsten Bereich den Kinderbetreuungsunterhalt annimmt und nur in einen weiteren Kreis den Krankheits- und den Altersvorsorgeunterhalt einordnet. Dem Altersvorsorgeunterhalt stellt er den Versorgungsausgleich gleich und kommt deswegen zu einer besonders weiten Regelungsbefugnis der Eheleute in Bezug auf diesen.

 

Rz. 119

Die Inhaltskontrolle hat der BGH schon in dieser Entscheidung[73] um eine Ausübungskontrolle ergänzt, mit der solche Umstände berücksichtigt werden sollen, die noch nicht beim Abschluss der überprüften Vereinbarung vorlagen, sondern die sich erst aufgrund der weiteren Lebensgestaltung der Eheleute ergeben haben und die sie nicht vorausgesehen haben, als sie ihre Vereinbarung abgeschlossen haben. Diese Ausübungskontrolle hat er auf § 242 BGB gestützt; sie enthält aber viele Gedanken, die nach der Schuldrechtsreform eher in § 313 BGB zu verorten sind, sodass es heute zutreffender sein dürfte, zur Begründung der Ausübungskontrolle auf diese Norm abzustellen.

 

Rz. 120

Das 2009 reformierte Versorgungsausgleichsrecht ordnet in § 8 Abs. 1 VersAusglG an, dass eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhalten muss. Letztlich spricht diese Regelung nur etwas Selbstverständliches erneut aus; denn gäbe es diese Sonderregelung nicht, dann würde entsprechendes gelten, weil die Inhalts- und Ausübungskontrolle als allgemeines Prinzip des modernen Vertragsrechts gelten muss. I.Ü. betont das heutige Recht, dass das FamG an die Vereinbarung der Eheleute gebunden ist (§ 6 Abs. 2 Vers­AusglG). Das Gericht hat also nicht die Befugnis, die Vereinbarung auf Zweckmäßigkeit oder ähnliches hin zu überprüfen.

 

Rz. 121

§ 8 VersAusglG ist nicht abdingbar.

[70] BGH FamRZ 2014, 1179.
[71] BVerfG FamRZ 2001, 343; BGH FamRZ 2002, 985.

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