Rz. 146

Die Inhaltskontrolle bezieht sich auf den Abschlusszeitpunkt der Vereinbarung über den Versorgungsausgleich. Gäbe es nur sie, könnten Entwicklungen, welche erst nach dem Abschluss des Vertrages entstanden sind, nicht erfasst werden. § 8 Abs. 1 VersAusglG ergänzt deswegen die Inhaltskontrolle durch eine Ausübungskontrolle. Die Vereinbarung ist i.R.d. Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB bzw. § 313 BGB zu prüfen, ob infolge der Vereinbarung etwa ein Ehegatte aufgrund einvernehmlicher Änderung der gemeinsamen Lebensumstände über keine hinreichende Alterssicherung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint.[93]

 

Rz. 147

Maßgebend für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt des Ehezeitendes bzw. der Entscheidung des Familiengerichts (v.a. in den Fällen, in denen der Ausgleich nach der Scheidung betroffen ist).[94] Anders als die Inhaltskontrolle kommt die Ausübungskontrolle wegen der Bezugnahme auf die Änderung von Lebensumständen regelmäßig nur dann in Betracht, wenn zwischen ihrem Abschluss und der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich ein längerer Zeitraum liegt; denn bei im Verfahren abgeschlossenen Vereinbarungen ist die Änderung der gemeinsam vorausgesetzten Lebensumstände kaum denkbar.

 

Rz. 148

Die Ausübungskontrolle knüpft grds. an dieselben Maßstäbe an wie die Inhaltskontrolle: Je höherrangig die Scheidungsfolge ist, in welche eingegriffen wurde, desto schwerwiegender müssen die Gründe sein, die trotz der veränderten Umstände für die Beibehaltung des Ausschlusses sprechen.[95] Erforderlich ist also, dass es durch die Vereinbarung nach dem Eintritt der nicht berücksichtigten[96] Umstände zu einer evident einseitigen Lastenverteilung führt. Die tatsächlich eingetretenen Lebensumstände müssen so erheblich von denjenigen abweichen, welche sich die Eheleute bei dem Abschluss der Vereinbarung über den Versorgungsausgleich vorgestellt haben, dass dem Berechtigten wegen dieser Abweichung ein Festhalten an der Vereinbarung nicht zugemutet werden kann.

 

Rz. 149

 

Beispiele für einen gerichtlichen Eingriff rechtfertigende Umstände sind etwa

die nachträgliche Geburt eines Kindes, mit der die Ehegatten nicht gerechnet hatten, durch welche der Aufbau einer Alterssicherung der Mutter erheblich eingeschränkt wurde,[97]
die nachträgliche Geburt von zwei Kindern, wenn die Ehegatten beim Abschluss ihrer Vereinbarung davon ausgegangen waren, dass die Ehefrau durchgehend eine Erwerbstätigkeit werde ausüben können, was aber wegen der Kindererziehung dann scheiterte,[98]
die Scheidung der zweiten Ehe, wenn die Eheleute den Ausschluss des Versorgungsausgleichs der ersten Ehe damit begründet hatten, dass die Frau in der zweiten Ehe eine ausreichende Altersversorgung erwerben werde.[99]
 

Rz. 150

Bei der Beurteilung der einzubeziehenden Umstände ist zu beachten, dass die Korrektur die Ausnahme bleiben muss. Soweit ein Ehegatte eigenverantwortlich das Risiko bestimmter Entwicklungen übernommen hat, kommt eine Ausübungskontrolle nicht in Betracht. Derartige Fälle werden sehr selten sein, weil es hier ja gerade darum geht, dass die Eheleute bestimmte Umstände gerade nicht eingeplant haben. Außerdem wird man – ähnlich wie im Unterhaltsrecht – die Korrektur auf Umstände beschränken müssen, in denen sich gerade ehebedingte Nachteile realisieren, nicht aber solche Risiken, welche unabhängig von der Ehe eingetreten sind. Die Korrektur wird sich deswegen im Regelfall darauf beschränken, den benachteiligten Ehegatten so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er während der Ehe die Anrechte hätte erwerben können, so wie das ursprünglich geplant gewesen war.[100] Die Ausübungskontrolle ist dagegen kein Instrument, um an Zuwächsen zu partizipieren, die der andere Ehegatte planungswidrig zusätzlich erworben hat, weil sich z.B. seine berufliche Karriere viel positiver entwickelt hat, als das beim Abschluss der Vereinbarung über den Versorgungsausgleich angenommen worden war.

 

Rz. 151

Zu beachten ist auch, dass die Inhaltskontrolle einer Vereinbarung ausscheidet, soweit die Vereinbarung noch nach §§ 227 Abs. 2, 225 FamFG abgeändert werden kann.[101] Das betrifft aber nur Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit.

 

Rz. 152

Kommt das Gericht zur der Auffassung, dass eine Abrede der Ausübungskontrolle nicht standhält, dann ist diese Abrede nicht ohne Weiteres nichtig; der durch sie begünstigte Ehegatte kann sie aber dem durch sie benachteiligten Ehegatten nicht entgegensetzen. Daraus folgt aber zugleich, dass der beanstandete Teil nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages führt. In der Praxis wird zwar ein Vertrag, der der Ausübungskontrolle in einzelnen Punkten nicht standhält, im Regelfall auch insgesamt diesen Maßstäben nicht genügen. Zwingend ist das aber nicht. Es ist vielmehr eine genaue Prüfung in Bezug auf die einzelnen Elemente der Vereinbarung erforderlich. Der Vertrag ist vielmehr in erster Linie anzupassen: Es kommt darauf an, welche Rechtsfolge ...

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