Rz. 42
Wie bereits dargelegt, beinhaltet ein Abfindungsvergleich eine Abgeltung sämtlicher aus einem Schadensfall resultierender Ansprüche auf Schadensersatz für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Erstreckt sich die Abgeltungswirkung ausschließlich auf eigene Ansprüche des Geschädigten, begründet dies kein Problem. Bei jedem Abfindungsvergleich muss hingegen geprüft werden, ob der Abfindungsvergleich auch Ansprüche des Geschädigten umfasst, die zukünftig auf Dritte übergehen könnten.
Dieses Risiko betrifft zunächst das Verhältnis des Geschädigten als Arbeitnehmer zu seinem Arbeitgeber. Fällt der Geschädigte aus unfallbedingten Gründen als Arbeitskraft aus und erhält er hierfür von seinem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung, gehen die dem Geschädigten gegenüber dem Schädiger zustehenden Ansprüche auf Ausgleich eines unfallbedingten Verdienstausfallschadens gem. § 6 EntgFG auf den Arbeitgeber über. Der Anspruchsübergang erfolgt erst im Augenblick der Leistung durch den Arbeitgeber. Hat der Geschädigte jedoch bereits zuvor auf sämtliche zukünftigen Schadensersatzansprüche gegenüber dem Schädiger und seinem Haftpflichtversicherer verzichtet, erfolgt auch kein Anspruchsübergang gem. § 6 EntgFG zugunsten des Arbeitgebers. In Konsequenz dessen ist der Arbeitgeber gem. § 7 Abs. 1 Nr. 2 EntgFG dazu berechtigt, die Entgeltfortzahlung gegenüber dem Geschädigten zu verweigern. Hat er sie bereits erbracht, ist er dazu berechtigt, sie vom Geschädigten zurückzufordern oder gegen Ansprüche auf Lohnzahlung die Aufrechnung zu erklären.
Rz. 43
Das gleiche Problem stellt sich, wenn der Geschädigte nach dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs beispielsweise Leistungen seiner privaten Krankenversicherung in Anspruch nimmt. Wurden die Leistungen aus Anlass von Personenschäden in Anspruch genommen, die sich als Folge eines Unfalls darstellen, gehen die dem Geschädigten gegen den Schädiger zustehenden Ansprüche auf Schadensersatz gem. § 86 Abs. 1 VVG im Augenblick der Leistung auf den privaten Krankenversicherer über. Dieser Anspruchsübergang geht jedoch ins Leere, wenn der Geschädigte bereits zuvor in einem Abfindungsvergleich auf den Ausgleich zukünftiger unfallbedingter Personenschäden verzichtet hat. Der Anspruchsverzicht des Geschädigten begründet eine Obliegenheitsverletzung gem. § 86 Abs. 2 VVG, die den Versicherer dazu berechtigen kann, den Geschädigten in Höhe der erbrachten Leistungen teilweise oder komplett in Regress zu nehmen.
Wird der Geschädigte bei dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs anwaltlich beraten oder vertreten, ist es Aufgabe des Rechtsberaters zu prüfen, ob zu erwarten steht, dass der Geschädigte zukünftig aus Anlass des Schadensfalls Leistungen Dritter in Anspruch nimmt, die einen Anspruchsübergang nach sich ziehen. Es ist dann Aufgabe des Rechtsberaters sicherzustellen, dass der Abfindungsvergleich dem Anspruchsübergang nicht im Wege steht. Andernfalls macht sich der Rechtsberater gegenüber dem Geschädigten schadensersatzpflichtig.
Um dem Problem vorzubeugen, sollte ein Abfindungsvergleich deshalb stets folgenden Zusatz enthalten:
Vom Vergleich ausgenommen sind sämtliche Ansprüche, die bereits auf Sozialversicherungs- und Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte übergangen sind oder zukünftig übergehen werden.
Rz. 44
Die skizzierten Probleme sind wie folgt zusammenzufassen:
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Erfolgt ein Forderungsübergang z.B. gem. § 116 SGB X im Unfallzeitpunkt, ist es dem Geschädigten nicht mehr möglich, hierüber einen Vergleich zu schließen, da er insoweit nicht mehr aktivlegitimiert ist. |
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Erfolgt ein Forderungsübergang z.B. gem. §§ 6 EntgFG; 86 VVG erst im Augenblick der Leistung, kann der Geschädigte vorher wirksam über diese Ansprüche verfügen, auch wenn dies zulasten des künftigen Anspruchsinhabers erfolgt. |
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Unterzeichnet der Geschädigte eine vorbehaltlose Abfindungserklärung, ist ab diesem Zeitpunkt ein Forderungsübergang weder nach § 6 EntgFG auf den Arbeitgeber noch nach § 86 VVG möglich. |
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Hieraus können Rechtsverluste des Arbeitgebers und des Versicherers eines Privat-versicherungsvertrages resultieren. |
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Erleidet der Geschädigte hierdurch einen Schaden, kommt ein Schadenersatzanspruch gegenüber seinem Rechtsberater wegen Verletzung der aus dem Anwaltsvertrag resultierenden Beratungspflichten in Betracht. |
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Zur Meidung dessen muss in jeden Abfindungsvergleich ein Passus aufgenommen werden, der sicherstellt, dass vom Vergleich Ansprüche ausgenommen werden, die erst zukünftig auf Dritte übergehen. |