Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 96
Eine Kompensation kann aber auch durch anderweitige ehebedingte Vorteile der Unterhaltsberechtigten eingetreten sein.
So tritt in der Praxis infolge der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht selten der – umgekehrte – Effekt ein, dass nämlich die – beruflich geringer qualifizierte – unterhaltsberechtigte Ehefrau durch den Versorgungsausgleich höhere Anrechte vom Ehemann übertragen bekommen hat, als sie selbst als ledige Berufstätige ohne Ehe bei eigener Erwerbstätigkeit hätte erwirtschaften können (ehebedingte Vorteile). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn z.B. der unterhaltspflichtige Ehemann über eine deutlich höhere berufliche Qualifikation als die Ehefrau verfügt. Dies ist im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsabwägungen (siehe unten Rdn 132) zu berücksichtigen.
Rz. 97
Zitat
Bei der Berechnung des ehebedingten Nachteils sind ehebedingte Vorteile – vorliegend ein Wohnvorteil – zu berücksichtigen.
Jedoch erzielt die Beklagte infolge des Versorgungsausgleichs Renteneinkünfte, die über ihrem bis dahin erzielten Erwerbseinkommen liegen. Danach drängt sich der Schluss auf, dass die Beklagte wegen des Versorgungsausgleichs eine höhere Rente erzielt, als sie dies ohne Heirat bei durchgehender Erwerbstätigkeit getan hätte. Damit wären die vom OLG angenommenen Rentennachteile zumindest kompensiert.
Rz. 98
Zitat
Hierdurch hat der Antragsgegner allerdings schon mehr erhalten als einen Ausgleich ehebedingter Nachteile. Denn die Rollenverteilung in der Ehe hat nicht dazu geführt, dass die vom Antragsgegner erworbenen Versorgungsanwartschaften geschmälert worden wären. Der Antragsgegner nimmt vielmehr insoweit am besseren Versorgungsstandard der Antragstellerin teil.
Rz. 99
Zitat
BGH, Urt. v. 25.6.2008 – XII ZR 109/07
"Wenn das Familiengericht im Hinblick auf die phasenverschobene Ehe der Parteien gemäß § 1587c Nr. 1 BGB einen Versorgungsausgleich ausgeschlossen hat, wirkt sich dies zugunsten der Klägerin aus>. Der Nachteil des zeitweisen Ausscheidens der Parteien aus dem Erwerbsleben wird deswegen sogar überwiegend von dem Beklagten getragen, was einem ehebedingten Nachteil der Klägerin entgegensteht (vgl. BGH v. 16.4.2008 – XII ZR 107/06)."
Rz. 100
Zitat
OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.4.2009 – II-8 UF 203/08
Zudem sind der Beklagten im Versorgungsausgleich 540,74 DM = 11,3984 EP (also rund 0,95 EP pro Ehejahr) auf ihr Rentenkonto übertragen worden. Der Wert übersteigt die vorehelich aus eigener Erwerbsleistung erworbenen Anrechte deutlich.
Rz. 101
Zitat
OLG Hamm, Urt. v. 2.3.2011 – II-8 UF 131/10
Die Antragsgegnerin hat durch die im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwartschaften sogar Vorteile erlangt (Erhöhung der Rente von 800,21 EUR auf voraussichtlich 945,69 EUR). Insofern nimmt die Antragsgegnerin an der besseren Altersversorgung des Antragstellers teil und verfügt über Renteneinkünfte, die deutlich über dem Existenzminimum liegen.
Rz. 102
Exkurs
Vergleichbare Überlegungen finden sich auch in der Rechtsprechung des BGH zur Anpassung von Eheverträgen:
Zitat
BGH v. 27.2.2013 – XII ZB 90/11
aa) Durch die richterliche Anpassung von Eheverträgen im Wege der Ausübungskontrolle sollen ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden. Beruhen diese Nachteile – wie letztlich auch hier – darauf, dass ein Ehegatte aufgrund der ehelichen Rollenverteilung vollständig oder zeitweise auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit verzichtet hat, kann er durch die Anpassung des Ehevertrages nicht besser gestellt werden als er ohne die Ehe und den damit einhergehenden Erwerbsverzicht stünde (vgl. BGH v. 28.2.2007 – XII ZR 165/04, FamRZ 2007, 974 Rn 28). Die richterliche Ausübungskontrolle hat sich daher im Ausgangspunkt daran zu orientieren, welche Versorgungsanrechte die Ehefrau ohne die Ehe und die ehebedingte Rollenverteilung durch eigene Berufstätigkeit hätte erwerben können. Obere Grenze des Versorgungsausgleichs ist dabei allerdings immer dasjenige, was die Ehefrau bei Durchführung des Ausgleichs nach den gesetzlichen Vorschriften unter Beachtung des Halbteilungsgrundsatzes erhalten hätte, wenn der Ausgleich nicht ehevertraglich ausgeschlossen worden wäre (BGH vom 6.10.2004 – XII ZB 57/03, FamRZ 2005, 185, 187).