Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 50
Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit führen regelmäßig zu verringerten Rentenanwartschaften. Folge davon sind Versorgungsnachteile, die dazu führen, dass
▪ |
im Alter eine geringere Altersrente |
▪ |
bei Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit eine geringere oder keine Erwerbsunfähigkeitsrente |
gezahlt werden wird, als dies bei einer ununterbrochenen eigenen Erwerbstätigkeit der Fall gewesen wäre.
Rz. 51
Praxistipp
▪ |
Diese Fragen werden erst dann praktisch relevant, wenn die Unterhaltsberechtigte
- ins Rentenalter kommt oder
- vor Erreichen des Rentenalters erwerbsunfähig wird.
|
▪ |
Zu beachten ist, dass auch der Bezug einer Erwerbsminderungsrente (Erwerbsunfähigkeitsrente) nicht zum Nachweis der völligen Erwerbsunfähigkeit genügt!
- Denn rentenrechtlich liegt bereits eine volle Erwerbsminderung vor, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf nicht absehbare Zeit nur noch weniger als drei Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche erwerbstätig sein können.
- Damit bleibt aber aus unterhaltsrechtlicher Sicht noch eine – geringe – Erwerbstätigkeit möglich. Hierzu muss die Unterhaltsberechtigte vortragen! Andernfalls wird für den zeitlichen Umfang der Arbeitsfähigkeit ein fiktives Erwerbseinkommen unterstellt.
|
a) Ehebedingtheit der nachteiligen Entwicklung
Rz. 52
Um als Nachteil im Sinne des § 1578b Abs. 2 BGB Bedeutung zu erlangen, muss es sich auch hier um einen ehebedingten Nachteil handeln (siehe oben Rdn 13). Versorgungsnachteile sind aber nur dann ehebedingt, wenn sie auf die konkrete Lebensgestaltung während der Ehe zurückzuführen sind. Also nur die aufgrund der Rollenverteilung während des ehelichen Zusammenlebens entstandenen Nachteile sind relevant (Kausalität). Andere Ursachen führen nicht zu ehebedingten Nachteilen.
b) Zeitliche Komponente
Rz. 53
Der Versorgungsnachteil muss durch Umstände und Entwicklungen während der Ehe ausgelöst worden sein. Dies bezieht sich einmal auf Lücken in der Erwerbsbiografie während der Zeit der Ehe, also im Zeitraum von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages. Damit scheiden Umstände aus der Zeit vor der Heirat aus.
Jedoch können nachteilige Auswirkungen auf die Versorgungssituation, die durch Umstände und Entwicklungen nach der Scheidung ausgelöst werden, dann relevant werden, wenn diese Umstände mittelbar auf Gestaltung der Lebenssituation während der Ehe zurückzuführen sind (siehe unten).
c) Grundsatz: Ausgleich der ehebedingten Versorgungsnachteile allein durch den Versorgungsausgleich
Rz. 54
Diese ehebedingten Versorgungsnachteile werden nach der Rspr. des BGH regelmäßig bereits über den Versorgungsausgleich ausgeglichen. Damit haben beide Eheleute die Nachteile in der Versorgungsbilanz in gleichem Umfang zu tragen; eine unterhaltsrechtliche Berücksichtigung scheidet damit im Normalfall aus.
Rz. 55
Es findet über den Versorgungsausgleich auch kein Vorteilsausgleich statt. Der ausgleichsberechtigte Ehegatte wird lediglich zur Hälfte an den Anwartschaften des ausgleichspflichtigen Ehegatten beteiligt, also auf dessen Einkommensniveau gesetzt. Hätte er selbst ohne Berufsunterbrechung ein höheres Einkommen erzielt, so hätte er zwar selbst höhere Anwartschaften erwirtschaftet. Dies wird aber nicht über den Unterhalt in Form eines "nachehelichen Schadensersatzes" ausgeglichen, es soll also keine unzulässige Besserstellung eintreten.
Rz. 56
In der Praxis liegt umgekehrt oft ein ehebedingter Vorteil der Ehefrau vor, wenn diese über den Versorgungsausgleich höhere Anrechte übertragen bekommt, als sie selbst bei durchgängiger eigener Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (siehe Rdn 96). Dieser ehebedingte Vorteil kann als Gesichtspunkt zugunsten des anderen Ehegatten bei der im Zusammenhang mit der nachehelichen Solidarität vorzunehmenden Billigkeitsabwägung Bedeutung erlangen.