Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 77
Beim Unterhaltsanspruch eines im Zusammenhang mit der Eheschließung nach Deutschland übergesiedelten Ehegatten stellt sich zuerst die Frage nach dem angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578b Abs. 1 S. 1 BGB und zum Einkommen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß §§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs bemisst sich dabei nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte.
Rz. 78
Ohne ihre Eheschließung hätte die Ehefrau nicht nach Deutschland übersiedeln können. Soweit indessen im Rahmen des § 1578b Abs. 1 S. 1 BGB beim unterhaltsberechtigten Ehegatten ein Vergleich zwischen seiner jetzigen Lebenslage und seiner hypothetischen Lebenssituation ohne Eheschließung angestellt werden muss, kann in solchen Fällen für die Ermittlung eines hypothetischen Erwerbseinkommens auf die Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten des ausländischen Ehegatten abgestellt werden, die sich ihm bei einem Verbleib in seinem Heimatland geboten hätten.
Rz. 79
Das von dem ausländischen Ehegatten in seinem Heimatland hypothetisch erzielbare Einkommen ist gegebenenfalls im Hinblick auf Kaufkraftunterschiede an das deutsche Preisniveau anzupassen.
Rz. 80
Der angemessene Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten kann auch in diesen Fällen nicht unter das unterhaltsrechtliche Existenzminimum sinken, welches dem in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte ausgewiesenen Selbstbehalt eines nichterwerbstätigen Unterhaltsschuldners entspricht.
Rz. 81
Zu beachten ist weiter, dass sich bei diesen Ehegatten kein – weitergehender – ehebedingter Nachteil dadurch ergibt, dass sie durch die in der Ehe gewählte Übernahme der Hausfrauenrolle daran gehindert worden ist, sich durch Fortbildung oder Umschulung weitergehend für den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Bei einem im Hinblick auf die Eheschließung in Deutschland ansässig gewordenen ausländischen Ehegatten ist die ungenügende Verwertbarkeit seiner im Ausland absolvierten Berufsausbildung auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht ehebedingt. Selbst wenn ihr durch die eheliche Rollenverteilung die Möglichkeit beruflicher Qualifikation für den deutschen Arbeitsmarkt genommen worden sein sollte, würde dies nicht auf einem ehebedingten Nachteil, sondern auf dem Entgehen von Erwerbschancen beruhen, die sich ihr – als ehebedingter Vorteil – mit der Übersiedlung nach Deutschland hätten eröffnen können. Ihr angemessener Lebensbedarf kann deshalb nicht auf der Grundlage einer fiktiven Erwerbsbiografie bestimmt werden, die erst mit ihrer Übersiedlung nach Deutschland ansetzt.